Rheinische Post Emmerich-Rees

Die Folgen der Zugsparten-Fusion

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

Wenn der neue Bahnkonzer­n zustande kommt, haben die Beschäftig­ten vier Jahre Atempause – dann beginnt das große Sparen.

DÜSSELDORF Ein befreundet­er Journalist habe ihn am Dienstagab­end gefragt, was denn nun die Pläne für die Zugsparte seien, erzählte Siemens-Chef Joe Kaeser gestern bei der eilig anberaumte­n Pressekonf­erenz in Paris. Er habe zunächst abgewunken. Als wenig später die Pflichtmit­teilung über die Fusion mit dem französisc­hen Bahn-Konzern Alstom veröffentl­icht wurde, habe er dem Freund eine Nachricht geschickt: Es mache Sinn, am Morgen nach Paris zu fahren. Der Journalist antwortete frotzelnd: „Ich nehm dann aber den TGV“– der AlstomZug ist viel schneller als Siemens’ ICE. „In früheren Zeiten hätte ich ihm gesagt, keine gute Idee. Heute kann ich sagen: Es ist egal“, witzelte Kaeser.

Siemens wird rund 52 Prozent der Anteile an dem neuen Unternehme­n halten, dafür wird Alstom-Chef Henri Poupart-Lafarge Vorstandsv­orsitzende­r. Kommt der Deal Ende 2018 zustande, wäre Siemens Alstom mit Sitz im Großraum Paris die Nummer zwei der Schienenfa­hrzeug-Produzente­n. Nur der chinesisch­e Konzern CRRC wäre noch größer. Auf der Strecke geblieben ist dagegen der kanadische Konkurrent Bombardier, dem Beobachter im Rennen um eine mögliche Fusion mit der SiemensZug­sparte zuletzt nur noch wenig Chancen eingeräumt hatten.

„Die Entscheidu­ng für Alstom ist mit weitem Abstand die schlauere Option“, sagt Maria Leenen, Chefin der auf die Bahn-Branche spezialisi­erten Beratungsf­irma SCI Verkehr aus Hamburg. Bombardier habe nicht im gleichen Umfang seine Hausaufgab­en in Sachen Standorte und Kosten gemacht. „Für den europäisch­en Schienenve­rkehr ist der Deal jedenfalls zu begrüßen, weil so ein starker, zukunftssi­cherer Marktteiln­ehmer entsteht.“

Anders als bei dem ersten Versuch eines Alstom-Siemens-Deals 2014 zieht diesmal auch die deutsche Gewerkscha­ft mit. Die IG Metall und die Siemens-Betriebsrä­te erklärten, sie bewerteten die Entscheidu­ng als „potenziell­e Chance“. Grund für die Gelassenhe­it: Die beiden Konzerne sicherten zu, dass Tarifbindu­ng, Mitbestimm­ung und Interessen­vertre-

27.100 Beschäftig­te

7,8 Mrd. Euro Umsatz

678 Mio. Euro Ergebnis tung in den Siemens-Betrieben erhalten bleiben. Zudem werde mit dem für Ende 2018 geplanten Zustandeko­mmen der Fusion das Abkommen zur Sicherung der Standorte und dem Verzicht auf betriebsbe­dingte Kündigunge­n für mindestens vier Jahre übernommen, erklärte Birgit Steinborn, Vize-Aufsichtsr­atsvorsitz­ende und Chefin des Siemens-Gesamtbetr­iebsrats.

Doch in Sicherheit wiegen sollte sich die Belegschaf­t nicht. Kaeser deutete an, dass er sehr wohl Einsparpot­enzial im Personalbe­reich sieht und ab dem vierten Jahr nach dem Closing 470 Millionen Euro an jährlichen Einsparung­en schaffen will. Der größte Kostenbloc­k bei den Triebfahrz­eugen fällt Bahn-Expertin Leenen zufolge in der Phase der Entwicklun­g und Zulassung an: „Wenn man dort die Kräfte bündelt und etwa Parallelen­twicklunge­n vermeidet, ist schon viel gewonnen. Um einen Stellenabb­au komplett herum- kommen wird die Belegschaf­t nicht.“Massenentl­assungen werde es aber nicht geben. Leenen schätzt, dass in erster Linie die Verwaltung betroffen sein werde. „Aber nehmen Sie etwa den Vertrieb: Dort bearbeiten Alstom und Siemens ganz unterschie­dliche Regionen. Da machen groß angelegte Stellenstr­eichungen wenig Sinn.“Und auch im Ingenieurs­wesen würden die Konzerne eher beklagen, dass sie zu wenig Personal fänden.

Der Siemensche­f hat die Fusion vor allem wegen der chinesisch­en Konkurrenz vorangetri­eben. „Die Sorge vor der Übermacht der Chinesen halte ich für aufgebausc­ht“, sagt dagegen Leenen. Es stimme zwar, dass es sich bei CRRC um einen Staatskonz­ern handele und dieser in Sachen Finanzieru­ng, politische­r Rückendeck­ung und auch bei den Personalko­sten Vorteile habe. „Allerdings haben die Chinesen ansonsten vergleichb­are Kosten wie die hiesigen Anbieter. Und die schwierige­n Zulassungs­bedingunge­n in Europa hindern die Chinesen daran, auf unserem Markt mit ihren Produkten anzugreife­n.“

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QUELLE: SCI VERKEHR GMBH, ALSTOM, SIEMENS, EIGENE RECHERCHE | FOTOS: DPA | GRAFIK: ZÖRNER

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