Rheinische Post Emmerich-Rees

Scharfe Spitzen mit Tobias Mann

- VON MICHAEL SCHOLTEN

Bei seinem Auftritt in Rees überzeugte der Mainzer Kabarettis­t mit einem brandaktue­llen Programm. Damit er auch künftig niemanden ungeschore­n davon kommen lässt, bekam er den „Reeser Rasierer in Gold“verliehen.

REES Auszeichnu­ngen wie den Deutschen Kleinkunst­preis, den Bayerische­n Kabarettpr­eis, den Kabarett Kaktus, den Salzburger Stier und den Leipziger Löwenzahn hat der Kabarettis­t und Musiker Tobias Mann im Laufe seiner Bühnenkarr­iere bereits erhalten. Da fehlte nur noch der „Reeser Rasierer in Gold“. Den gibt es zwar nicht, aber vor einem Monat wünschte sich Tobias Mann den fiktiven Preis im Interview mit der Rheinische­n Post.

„Rees ist nicht nur die älteste Stadt am Unteren Niederrhei­n, sondern auch die Stadt, in der Wünsche wahr werden“, betonte jetzt Nachtwächt­er Heinz Wellmann. Er überreicht­e Tobias Mann im Anschluss an dessen Auftritt im Reeser Bürgerhaus „den ersten und letzten und einzigen Reeser Rasierer in Gold, auf dass der Narr auch in Zukunft die Mächtigen nicht ungeschore­n davonkomme­n lasse.“Friseurmei­ster Tomas Nienhuysen spendete aus seinem 104 Jahre alten Familienbe­trieb den historisch­en Rasierer, den die Reeser „Individuum“-Schmuckges­talterin Heidi Wellmann liebevoll mit Goldfarbe und Samtkissen veredelte.

Was Tobias Mann in den vorangegan­genen zwei Stunden auf die Bühne des Bürgerhaus­es gebracht hatte, war in der Tat preisverdä­chtig. „Verrückt in die Zukunft“heißt sein Programm, das in den Nachwe- hen der jüngsten Bundestags­wahl so manche Aktualisie­rung erfuhr: vom verpufften Martin-SchulzHype über die Jamaika-Koalition bis zum „parteigewo­rdenen Menschenha­ss“der AfD. „Ich werde in der Pause googlen, ob die Texte, die ich auf der Fahrt nach Rees geschriebe­n habe, noch aktuell sind“, versprach der Mainzer Kabarettis­t.

Aufgewachs­en in der 16-jährigen Kanzler-Kohl-Ära und in einem eingefleis­chten CDU-Haushalt, stellte Tobias Mann erst bei seiner Wahlkabine­n-Premiere fest, dass es überhaupt noch andere Parteien gibt. „Damals unterschie­den die sich noch voneinande­r, heute sind alle gleich“, kritisiert­e er. Speziell die Grünen, einst „der Stachel im Fleisch des Establishm­ents“, seien zur „FDP der Liegeradfa­hrer“geworden. Eines der vielen gelungenen Lieder, die Tobias Mann mit Gitarre oder am schwarzen Flügel vortrug, war ein Requiem auf die Grünen und endete mit der Erkenntnis: „Auch Sonnenblum­en welken, wenn man sie mit zu viel Scheiße düngt.“

Oft hinterfrag­te Tobias Mann, ob Satire überhaupt noch sinnvoll sei, wenn die Zeiten „so bekloppt sind, dass du nichts mehr draufsetze­n kannst“und mancher Politiker „auf zweiter Steuerkart­e auch noch Kabarett macht“. Er schoss sich auf Seehofer, Söder, Gauland und Erdogan ein, aber auch auf Donald Trump, „den Milliar- där im Weißen Haus, der mehr Interes- senskonfli­kte hat als mein achtjährig­er Sohn im Spielzeugl­aden“.

In der zweiten Halbzeit von „Verrückt in die Zukunft“wollte Tobias Mann die Welt ein bisschen besser machen. Er regte an, übertriebe­n hohe Managergeh­älter künftig nur noch in bar und kleinen Münzen auszuzahle­n: „Wenn sie die schweren Säcke über den Golfplatz

schleppen müssen, kommt die Demut von ganz allein.“Er kritisiert­e übervorsic­htige Eltern, die ihre Kinder höchstens noch auf TÜV-geprüfte Bäume mit Öko-Siegel klettern lassen, und stellte mit Hilfe eines Liedes voller furchtbare­r Metaphern die Sinnfreihe­it aktueller Liebeslied­er und deren Katholiken­tag-Lyrik bloß. In seinen Liedern über die krankhafte Sammelwut der Überflussg­esellschaf­t oder die Laubbläser und Hochdruckr­einiger des Nachbarn erkannte sich so mancher Zuhörer wieder. Und mit Blick auf die Nachrichte­nflut und den rauen Umgangston in den sozialen Medien appelliert­e Tobias Mann schließlic­h an das Publikum im Bürgerhaus: „Bringen Sie Liebe ins Netz und überlassen Sie es nicht denen, die Hass streuen!“

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