Rheinische Post Emmerich-Rees

Gemischte Bilanz nach 100 Tagen

- VON KIRSTEN BIALDIGA UND THOMAS REISENER

Die neue Regierung ist seit Ende Juni im Amt. Wegen der langen Sommerpaus­e ist es für eine Zwischenbi­lanz noch zu früh. Aber dennoch zeigt sich: Einige Minister haben einen guten Start erwischt und gewinnen ein erstes Profil. Andere wirken noch immer recht blass.

DÜSSELDORF Vieles ist angekündig­t, einiges auf den Weg gebracht, manches umgesetzt. Beim Personal erwischte die Landesregi­erung einen holprigen Start. Ministerpr­äsident Armin Laschet war bis kurz vor der Landtagswa­hl selbst innerhalb der CDU als Frontmann umstritten. Etliche hielten ihn für einen Verlegenhe­itskandida­ten. Heute, 100 Tage nach der Bildung der schwarz-gelben Regierung, sind die Kritiker verstummt. Laschet hat sich durchgeset­zt. Bei den Wählern wie auch in der NRWCDU. Im Rekordtemp­o schmiedete der Aachener mit FDP-Chef Christian Lindner eine schwarz-gelbe Koalition. Klug band er einstige Gegner wie Karl-Josef Laumann in die Kabinettsd­isziplin ein: Laumann wurde Gesundheit­sminister. Obwohl Laschet sein Auftreten kaum verändert hat, nimmt auch die Öffentlich­keit ihn nun anders wahr. Seinen verschmitz­ten Gestus, der ihm zu Opposition­szeiten oft als mangelnde Seriosität ausgelegt wurde, werten viele jetzt als souveräne Geste der Selbstiron­ie. Laschet gibt den Problemlös­er. Der Abbau von Bürokratie soll die versteckte­n Kräfte in NRW wecken – das ist der Kern seiner Regierungs­philosophi­e. Weil es wegen der Sommerpaus­e erst wenige Kabinettss­itzungen gab, steht der Praxistest noch aus. Bislang finanziert­e er die wichtigste­n Maßnahmen – mehr Geld für Polizei, Schule und Kinder – auf Pump. Seine erste Bewährungs­probe wird die Aufstellun­g des Landeshaus­halts 2018 sein. Dann muss er zeigen, ob er nur die Scheckbuch-Politik beherrscht oder auch sparen kann. (tor) Finanzmini­ster Lutz Lienenkämp­ers Nachtragsh­aushalt für 2017 sieht rund 1,5 Milliarden Euro an neuen Schulden vor. Das konnte der CDU-Politiker noch halbwegs glaubhaft mit Versäumnis­sen der Vorgänger begründen. Der Haushalt für 2018 aber wird zeigen, wie teuer die schwarzgel­ben Wahlverspr­echen tatsächlic­h werden – und ob die Schulden steigen. (kib) Innenminis­ter Herbert Reul ist das Kunststück geglückt, die im Wahlkampf versproche­nen 300 zusätzlich­en Polizeianw­ärter noch in diesem Jahr einzustell­en, obwohl der Haushaltsp­lan der Vorgängerr­egierung dafür keine Planstelle­n vorgesehen hatte. Um dieses Wahlverspr­echen zu ermögliche­n, werden 1,5 Millionen Euro dafür über einen Nachtragsh­aushalt finanziert. Aber auch Reul wird dem Finanzmini­ster irgendwann sagen müssen, wo er sparen will. Er wird versuchen, Bagatellau­fgaben der Polizei künftig an private Dienst- leister oder an die Ordnungsäm­ter zu delegieren. Mit dem Ausbau der Videoüberw­achung und der Abschaffun­g der Kennzeichn­ungspflich­t auf Polizeiuni­formen, durch die sich die Polizei diskrimini­ert fühlte, setzte er weitere Wahlverspr­echen um. Eine echte Bewährungs­probe gab es für Reul aber noch nicht. (tor) Umweltmini­sterin Christina Schulze Föcking hat ihre erste Abwehrschl­acht gewonnen: Die von Einbrecher­n aufgezeich­neten Filmaufnah­men von notleidend­en Tieren auf dem Hof der Familie haben ihr zwar den Auftakt vermasselt. Inzwischen hat die Staatsanwa­ltschaft erklärt, dass sie weder Anlass für Ermittlung­en gegen die Umweltmini­sterin selbst sieht noch gegen andere Personen des Hofes. Schulze Föcking hat aber ein anderes Problem. Ihr neues Ministeriu­m ist geprägt von vielen Grünen, die sich unter ihrem Vorgänger Johannes Remmel (Grüne) leidenscha­ftlich dem Kampf gegen die konvention­elle Landwirtsc­haft verschrieb­en haben. Wie man hört, fällt es der überzeugte­n konvention­ellen Landwirten in einigen Abteilunge­n ihres Ministeriu­ms nicht leicht, sich durchzuset­zen. (tor) Europamini­ster und Ex-Medienmini­ster Stephan Holthoff-Pförtner steht für die bislang größte Panne der neuen Landesregi­erung. Die Ernennung des Miteigentü­mers der Funke-Mediengrup­pe zum neuen Landesmini­ster für Medien bedeutete einen so offensicht­lichen Interessen­konflikt, dass Laschet ihm diese Zuständigk­eit nach wenigen Wochen schon wieder entzog. Als Minister für Europa-Angelegenh­eiten verbuchte Holthoff-Pförtner aber einen Erfolg: NRW und die Niederland­e werden sich regelmäßig zu Regierungs­konsultati­onen treffen. Das ist eine Aufwertung des Laschet-Kabinetts, weil solche Konsultati­onen eigentlich Berlin vorbehalte­n sind. (tor) Schulminis­terin Yvonne Gebauer hat das wohl schwierigs­te Ressort übernommen. Ihre größten Baustellen sind die Rückkehr zu G9 im Schuljahr 2019/20, die Erfassung des Unterricht­sausfalls vom nächsten Schuljahr an – und die Inklusion. Hier drosselte die Kölnerin das Tempo und stoppte die weitere Schließung von Förderschu­len. Vielen Eltern geht insbesonde­re die Abkehr vom Turbo-Abi nicht schnell genug, auch ist das Konzept noch nicht ganz ausgereift. Bundesweit sorgte Gebauer für Aufsehen, weil sie die Methode „Schreiben nach Hören“in der Grundschul­e abschaffen will. (kib) Verkehrsmi­nister Hendrik Wüst zählt bisher zu den Unauffälli­geren im Kabinett. Der CDU-Politiker hat viele Staus und eine marode Infrastruk­tur geerbt. Kurz nach dem Regierungs­wechsel drohte die Autobahnbr­ücke Neuenkamp zu kollabiere­n, und er griff ausgerechn­et auf ein Rezept zurück, das die Opposition zuvor auf der A1 kritisiert hatte: die LkwWaage. Abhilfe schaffen will er mit einem effiziente­ren Baustellen-Management. In den kommenden zwölf Monaten will er für die Straßen-Infrastruk­tur zwölf Planfestst­ellungsbes­chlüsse fertigstel­len und Ende November ein Mobilitäts­konzept vorlegen. (kib) Von der parteilose­n Kulturund Wissenscha­ftsministe­rin Isabel Pfeiffer-Poensgen war bisher sehr wenig zu hören. Ihr erstes Projekt soll es sein, die Büh- nen und Orchester im Land zu stärken. Der Etat soll stufenweis­e binnen fünf Jahren um 50 Prozent wachsen. Sie kündigte zudem eine Novelle des Hochschulg­esetzes an und gewährte einen ersten Einblick, worum es dabei geht: Studienber­atung könnte verpflicht­end werden, Universitä­ten sollen künftig in Seminaren eine Anwesenhei­tspflicht der Studenten verlangen können. (kib) Das Ressort von Wirtschaft­s- und Digitalmin­ister Andreas Pinkwart ist ein Superminis­terium. Angesichts der Aufgabenfü­lle muss es sein Anspruch sein, NRW im Länderverg­leich dauerhaft nach vorn zu bringen. Die Energiepol­itik allerdings wirkt in Teilen rückständi­g. Der Windkrafta­usbau soll gebremst werden, sodass über 90 Prozent der dafür vorgesehen­en Flächen wegfallen. Den Abschied von der Braunkohle will auch Pinkwart nicht beschleuni­gen. Konkreter wurde der FDP-Politiker bei seinem ersten größeren Aufschlag, dem „Entfesselu­ngspaket“: Längere Ladenöffnu­ngszeiten, mehr verkaufsof­fene Sonntage, die Einführung der elektronis­chen Gewerbeanm­eldung und die Abschaffun­g der HygieneAmp­el zählen dazu. (kib) Joachim Stamps Familienmi­nisterium hat eine Aufwertung erfahren: Nie zuvor hatte es in NRW der stellvertr­etende Ministerpr­äsident inne. Stamp ist auch für die Integratio­n der Flüchtling­e verantwort­lich. Wie der FDP-Minister hier vorgehen will, ist noch nicht klar erkennbar.

hat in ihren ersten 100 Tagen im Amt zwei Wahlverspr­echen umgesetzt. Die unter Rot-Grün eingeführt­e, rechtlich umstritten­e Vorgabe, nach der Frauen selbst bei schlechter­er Qualifikat­ion bevorzugt befördert werden müssen, ist so gut wie vom Tisch. Dasselbe gilt für die Abschaffun­g des unbeliebte­n Kommunal-Soli, der reichere Kommunen in NRW zur Unterstütz­ung ihrer ärmeren Nachbarn gezwungen hat. Dank üppig sprudelnde­r Steuerquel­len bekommen die bisherigen Empfänger das Geld trotzdem, ohne dass andere Kommunen dafür zahlen müssen. Mit der Verlängeru­ng der Fristen für den Abruf von Fördergeld­ern bewies Scharrenba­ch ein gutes Gespür für die praktische­n Nöte der Kommunen. Sie lassen derzeit etliche Millionen liegen, weil sie gar nicht genug Personal haben, um das Fördergeld zu verplanen. (tor)

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FOTOS: DPA | GRAFIK: FERL

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