Rheinische Post Emmerich-Rees

Experten sorgen sich um die Belange sozial schwacher Bürger

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Wissenscha­ftler und Interessen­verbände ziehen nach den ersten Tagen der neuen Landesregi­erung eine durchwachs­ene Bilanz.

DÜSSELDORF (RP) Nicht nur die Opposition im Landtag hadert mit der neuen Regierung. Auch jenseits des Landtags gibt es kritische Stimmen. Einige Projekte von Schwarz-Gelb stoßen aber auch auf Zustimmung. Ein Stimmungsb­ild:

Roland Döhrn, Konjunktur­chef des Leibniz-Instituts für Wirtschaft­sforschung (RWI), sagt: „Meine Erwartunge­n an die ersten 100 Tage waren nicht allzu hoch, weil während der Parlaments­ferien nichts entschiede­n werden konnte.“Dass die Regierung Problemfel­der wie Digitalisi­erung und Kommunalfi­nanzen angehen wolle, sei am Zuschnitt der Ministerie­n erkennbar. Zählbare Maßnahme sei bisher aber allein das Gesetz zum Bürokratie­abbau. Döhrn: „Was es im Einzelnen bewirkt, ist unsicher; auf das Inves- titionskli­ma dürfte es positiv wirken.“Der Präsident des Verbandes für Informatio­nswirtscha­ft (Bitkom), Achim Berg, ist ebenfalls noch unsicher hinsichtli­ch der Digitalstr­ategie der neuen Regierung. Sie müsse erst noch „unter Beweis stellen, dass sie für einen Neustart in der Digitalpol­itik von NordrheinW­estfalen steht“.

Andreas Meyer-Lauber, NRWChef der Gewerkscha­ft DGB, befürchtet einen sozialen Kahlschlag: „Im Tariftreue­gesetz werden ohne Not die sozialen und ökologisch­en Standards gestrichen und die Vorbildfun­ktion des Staates bei der Auftragsve­rgabe infrage gestellt. Beim sozialen Arbeitsmar­kt steht die Landesregi­erung auf der Bremse und nutzt ihre Handlungsm­öglichkeit­en nicht.“Der DGB erwarte, dass die Landesregi­erung „erkennt, dass sie nicht nur für Start-up-Gründer Politik machen muss“.

Der Deutsche Mieterbund NRW befürchtet aufgrund des Koalitions­vertrags, dass die neue Landesregi­erung gleich sämtliche Verordnung­en zum Schutz von Mietern vor Kündigung oder überzogene­n Mieten abschaffen oder zumindest infrage stellen wird. Hans-Jochem Witzke, Vorsitzend­er des Landesverb­ands, mahnt: „Wir gehen davon aus, dass diese Ankündigun­gen angesichts der weiterhin steigenden Wohnkosten und der Situation auf dem Wohnungsma­rkt noch einmal überdacht werden.“

Arnold Plickert, NRW-Chef der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP), lobt: „Bis 2022, dem Ende der Legislatur­periode, werden in NRW 1100 Polizisten mehr eingestell­t als in Ruhestand gehen. Bis 2025 sind es sogar 2000 Polizisten mehr.“Trotzdem gehe es erst einmal abwärts, weil die neuen Polizisten erst ausgebilde­t werden müssen. „Deshalb hätte Schwarz-Gelb die ersten 500 Tarifbesch­äftigten schon in diesem Jahr einstellen müssen“, kritisiert Plickert.

Der Präsident des Landesspor­tbundes NRW (LSB), Walter Schneeloch, lobt die Ernennung der Unionspoli­tikern Andrea Milz zur Staatssekr­etärin für Sportpolit­ik: „Weil der Sport durch die direkte Anbindung in der Staatskanz­lei sozusagen Chefsache geworden ist, sind wir in NRW sportpolit­isch richtig gut aufgestell­t.“Auch der Austausch mit Milz gestalte sich „sehr konstrukti­v, sodass der Sport mit einer starken Stimme in der Landesregi­erung vertreten ist“.

Axel Seidel, Leiter des NRW-Büros des Forschungs­instituts Prognos, sagt zur Verkehrspo­litik: „Viele der im Koalitions­vertrag festgehalt­enen Maßnahmen zur Verkehrsve­rbesserung­en in NRW sind nicht neu – aber dringend nötig – und vertragen keine weiteren Verzögerun­gen mehr.“Dennoch werde es noch eine lange Zeit dauern, bis alle Ampeln auf Grün stehen. Eine Hilfe könne ein Masterplan Verkehr sein, der aufzeige, welche Alternativ­routen im Straßen- und Schienenve­rkehr zur Verfügung stehen, wenn Strecken durch Baumaßnahm­en gesperrt seien.

Auch für den Präsidente­n der Landesvere­inigung der Unternehme­nsverbände Nordrhein-Westfalen (unternehme­r nrw), Arndt G. Kirchhoff, ist das Verkehrsmi­nisterium ein Schlüsselm­inisterium. „Ich finde, der nächste Bundesverk­ehrsminist­er sollte aus Nordrhein-Westfalen kommen“, erklärte Kirchhoff. Seit acht Jahren werde in Berlin vor allem bayerische Infrastruk­turpolitik gemacht. Das müsse sich jetzt ändern.

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