Rheinische Post Emmerich-Rees

Lieder, um zu überleben

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Der US-amerikanis­che Musiker Tom Petty ist im Alter von 66 Jahren gestorben.

LOS ANGELES Das ist ein schmerzhaf­ter Verlust. Tom Petty war nicht irgendein Musiker, er war ein Lebensmale­r, er malte unsere Leben bunt an. Seine Songs waren immer in der Luft, seit den 70er Jahren. Man musste gar keine LP oder CD kaufen, die Stücke liefen im Radio, in Läden, sie waren in der Welt und erreichten ihre Hörer aus eigener Kraft. Sie bildeten den Soundtrack des Alltags. Bei Twitter und Facebook posten jetzt viele Menschen Songzeilen, und obwohl meist nicht dabeisteht, aus welchem Lied die Verse stammen, hat man die Stücke doch im Kopf: Man liest „She’s a good girl“und summt „Free Fallin’“.

Das hat er hinbekomme­n, dass offenbar in jedem Kopf ein geheimer Vorrat an Petty-Versen ist, eine Rumpelkamm­er voll mit seiner Alltagslyr­ik, ob man sich nun als Fan bezeichnet oder nicht. „I’m Learning To Fly / But I Ain’t Got Wings“hat er gesungen. Er gilt ja als uramerikan­isch, und das ist er natürlich auch, allein diese staubige, leicht angerostet­e Stimme. Aber Petty hatte eben auch ein Faible für britischen Pop, für die himmelstür­menden und symphonisc­hen Melodien der Beatles vor allem. Und wie seine Kollegen aus England kannte Petty den Weg zu den Herzen der Menschen. Man muss sich nur „Into The Great Wide Open“anhören. Seine Lieder konservier­en einen flüchtigen Stoff, vielleicht kann man ihn Glück nennen. Existenzie­lles Aroma. Die Lieder erzählen davon, wie es sich anfühlt zu leben. Tom Petty hat bewiesen, dass drei Minuten lange Popsongs so gehaltvoll wie dicke Romane sein können. Er hatte ein Händchen für den treffenden Vers. Wenn man eines seiner Stücke im Autoradio hört, denkt man: Der meint ja mich. Lieder sind Wegmarken, man könnte die Biografien so vieler Menschen an Liedern entlang erzählen. „Wir erzählen uns Geschichte­n, um zu überleben“, hat die amerikanis­che Schriftste­llerin Joan Didion gesagt. Man darf diesen Satz ruhig abwandeln: Wir singen und hören Lieder, um zu überleben, und Tom Petty wusste das. Klingende Geschichte­n aus der Historie der Gegenwart. Wie oft hat man eine seiner Zeilen und Melodien im Kopf, in den banalsten Momenten. Er besang ja alles Mögliche, das schöne Unbedeuten­de, das man leicht vergisst und das sich doch ablagert im Menschen und am Ende seine Persönlich­keit ergibt. Das ist die wahre Songwritin­gKunst, dass das Lied bereits da ist, wenn der Hörer die dazu passende Erfahrung macht. Tom Petty ist tot. The Sky was the limit. Jetzt herrscht über das Leben wieder die Erinnerung.

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FOTO: AP Tom Petty

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