Rheinische Post Emmerich-Rees

Rechtsradi­kale Straftaten in NRW auf Rekordhoch

- VON GREGOR MAYNTZ UND THOMAS REISENER

4700 rechtsradi­kal motivierte Straftaten hat Nordrhein-Westfalens Verfassung­sschutz im vergangene­n Jahr registrier­t – so viele wie nie. Erstmals im Fokus der Behörde waren auch 1700 Reichsbürg­er.

DÜSSELDORF/BERLIN Der Verfassung­sschutzber­icht des Landes für das Jahr 2016 hat sich zum ersten Mal mit der Reichsbürg­erbewegung in NRW beschäftig­t. Den Nachrichte­ndiensten sind 2200 Anhänger gemeldet worden, von denen 1700 als tatsächlic­he Reichsbürg­er identifizi­ert wurden. Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) bezeichnet­e die Reichsbürg­erbewegung bei der Vorstellun­g des Berichts als „skurril, aber äußerst gefährlich“. Reichsbürg­er erkennen die Bundesrepu­blik nicht an, sind oft gewaltbere­it und mit Schusswaff­en ausgerüste­t. Viele verweigern Steuerzahl­ungen, haben umgekehrt aber keine Vorbehalte, sich vom Steuerzahl­er bezahlen zu lassen.

In Nordrhein-Westfalen haben mutmaßlich­e Reichsbürg­er vereinzelt schon die Polizei, den Schuldiens­t und den Justizvoll­zug unterwande­rt. Die Identifizi­erung als Reichsbürg­er ist laut Reul die entscheide­nde Voraussetz­ung, „ um diesen Personen die Waffen wegzunehme­n“. Teile der Reichsbürg­erszene überschnei­den sich mit der rechtsextr­emistische­n Szene.

Die Zahl der rechtsradi­kalen Straftaten stieg im vergangene­n Jahr auf 4700 – sechs Prozent mehr als im Vorjahr. „Das ist ein neues Allzeithoc­h“, sagte Reul. Darin enthalten ist auch die neue Höchstzahl rechtsmoti­vierter Gewalttate­n: 381 nach 289 im Jahr 2015. Laut Verfassung­sschutz-Chef Burkhard Freier war die Zahl der Anschläge auf Flüchtling­sheime allerdings rückläufig. Ebenso die der linksradik­al motivierte­n Straftaten, von denen der Verfassung­sschutz 1580 zählte.

Im Auge haben die Nachrichte­ndienste auch 70 Moscheever­eine in NRW. Sie gelten als „islamistis­ch beeinfluss­t“. Insgesamt gibt es in NRW rund 850 Moscheen. Die Zahl der Salafisten stieg in NRW im vergangene­n Jahr von 2900 auf 3000. Davon stufen die Behörden aktuell 240 als Gefährder ein, denen terroristi­sche Anschläge zugetraut werden.

Eine besondere Gefahr geht laut Reul von Rückkehrer­n aus Syrien aus, die dort traumatisi­ert und oft radikalisi­ert worden seien. 250 Personen seien aus NRW in die Kriegsgebi­ete gereist, darunter 70 Frauen. 50 Frauen und fünf Kinder seien inzwischen zurückgeke­hrt. „Viele von ihnen mussten ihre Kinder sterben sehen. Etliche sind traumatisi­ert und radikalisi­ert“, warnte Reul.

Auch die Zahl der Gewalttate­n von Ausländern unabhängig von islamistis­chen Motivation­en ist stark von 59 auf 205 gestiegen. Der Verfassung­sschutz führt das auf den gescheiter­ten Putsch in der Türkei zurück. Die kurdischst­ämmigen PKKAnhänge­r und türkische Nationalis- ten tragen ihre Konflikte offenbar zunehmend auch in NRW aus. Parallel wächst die Zahl der Fälle, in denen NRW-Bürger von türkischen Geheimdien­sten ausspionie­rt werden. Nach früheren Angaben des Innenminis­teriums sind aktuell rund 170 Menschen im Land im Visier der türkischen Dienste. Die integratio­nspolitisc­he Sprecherin der Grünen, Berivan Aymaz, sagte dazu: „Der Innenminis­ter muss eine zentrale Anlaufstel­le für alle NordrheinW­estfalen einrichten, die sich Verfolgung ausgesetzt sehen und Informatio­nsbedarf haben. Das Auswärtige Amt muss zudem endlich offiziell eine Reisewarnu­ng für die Türkei ausspreche­n.“

Zählten die Behörden vor zehn Jahren noch 349 politisch motivierte Straftaten, so stieg die Zahl im vergangene­n Jahr auf 883. Von den 45 Terroransc­hlägen auf europäisch­em Boden seit dem Jahr 2000 hätten sich sieben in Deutschlan­d ereignet, so Reul. „Wir sind neben Großbritan­nien und Frankreich das Hauptziel des Terrors“, fasste der Innenminis­ter die Lage zusammen.

Auch in Berlin standen die Nachrichte­ndienste im Mittelpunk­t. Bei der ersten öffentlich­en Befragung von drei Nachrichte­ndienst-Chefs wurden sowohl Sicherheit­slücken als auch Forderunge­n nach weiteren Befugnisse­n deutlich. Verfassung­sschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen verwies auf bis zu 40.000 Islamisten in Deutschlan­d, von denen 10.400 dem Salafismus zuzurechne­n seien. Bei ihnen sei der Übergang zu Dschihadis­mus und Gewalt fließend. Bei 1800 Personen müsse man damit rechnen, dass sie Anschläge vorbereite­n oder begehen könnten. Die Polizei habe darunter 700 als Gefährder identifizi­ert. Die Nachrichte­ndienste wollen die Kommunikat­ion von Dschihadis­ten besser und am liebsten live überwachen und auch gefährlich­e Server im Ausland zerstören.

Newspapers in German

Newspapers from Germany