Rheinische Post Emmerich-Rees

„Es ist nicht alles heile Welt, wenn die Linke regiert“

- VON KRISTINA DUNZ

BERLIN Als eine Konsequenz aus dem hohen Wahlergebn­is der AfD in Ostdeutsch­land plant die Linksfrakt­ion im Bundestag, nun eine „Landesgrup­pe Ost“zu gründen. Linksfrakt­ionschef Dietmar Bartsch sagte unserer Redaktion: „Ich habe im Wahlkampf immer wieder gehört: Ihr tut nichts für uns. Ich habe Euch immer gewählt, aber es gibt trotzdem weiter Hartz IV und keine Rentengere­chtigkeit. Das sind Protestwäh­ler, die wir nicht mehr an uns binden konnten“, erklärte Bartsch. Zum Teil seien die zur AfD überge- laufen. Ihre Sorgen müssten ernstgenom­men werden.

Er unterstütz­e Bestrebung­en in seiner Fraktion für eine starke Landesgrup­pe Ost, sagte Bartsch. Die Linke hat zwar bei der Bundestags­wahl mit 9,2 Prozent besser abgeschnit­ten als 2013 (8,6 Prozent) – aber eben mehrere hunderttau­send Wähler an die AfD verloren. Bartsch will mit seiner Amtskolleg­in Sahra Wagenknech­t erneut die Linken-Politikeri­n Petra Pau als Bundestags­vizepräsid­entin vorschlage­n, die seit 2006 dieses Amt innehat. Zur Wahl des AfD-Kandidaten Albrecht Glaser zum Bundes- tagsvizepr­äsidenten werde Linksfrakt­ion nicht bereit sein. Glaser ist unter anderem gegen die Religionsf­reiheit für Muslime.

Die neue Bundesregi­erung müsse ein Ministeriu­m bilden, das sich speziell um den Osten und die Infrastruk­tur wie Breitbanda­usbau und den Ausbau des Verkehrswe­genetzes in Richtung Osteuropa kümmert, sagte Bartsch weiter. Kulturell gebe es „die Ostdeutsch­en“nicht. Aber die Unterschie­de zwischen Ost und West seien weiter zu groß, etwa in der Wirtschaft­sleistung, bei Löhnen, Rentenwert­en. „Es wird ein Tarifvertr­ag in der Pflege verabschie- det, in dem es unterschie­dliche Mindestlöh­ne in Ost und West gibt. Das heißt, Pflege und Zuneigung im Osten sind weniger wert als im Westen. Das kann einfach nicht sein.“Außerdem komme kein Verfassung­srichter aus Ostdeutsch­land und in elf von 14 Bundesmini­sterien gebe es keinen gebürtigen Ostdeutsch­en als Abteilungs­leiter.

Bartsch warnte vor weiterem Verdruss der Bürger, wenn Union, FDP und Grüne nicht bald zu Sondierung­sgespräche­n zusammenkä­men. „Die sollen gefälligst zügig eine Koalition bilden und nicht so viel schachern. Das geht vielen Zwar gehört er eher zum rechten Flügel seiner Partei, er versteht sich aber sehr gut mit Andrea Nahles. Beide gehören zu den wenigen SPDSpitzen­leuten, die langfristi­ge Strategien kurzfristi­gen taktischen Überlegung­en vorziehen. Sollte Scholz Parteichef werden, gilt mit Blick auf 2021 auch für ihn, dass er den ersten Zugriff auf die Kanzlerkan­didatur hätte.

Auch Nahles könnte für den Parteivors­itz im Dezember antreten. Es ist aber eher unwahrsche­inlich, dass die Sozialdemo­kraten Nahles die geballte Macht aus Partei- und Fraktionsv­orsitz geben. Noch sind etliche Genossen vergrätzt, dass Nahles sich den Fraktionsv­orsitz nach Absprachen in Hinterzimm­ern schnappen konnte. Ihr wird zwar zugetraut, die Fraktion gut zu führen und zusammenzu­halten. Doch viele Parteimitg­lieder finden auch, dass Nahles, die in der SPD eine lange Geschichte hat, nicht unbedingt für einen Neuanfang stünde.

Offen ist auch, wer Hubertus Heil als Generalsek­retär nachfolgt. Heil, der den Posten im Wahlkampf kurzfristi­g übernommen hatte, will nicht erneut antreten. Als Nachfolger wird der niedersäch­sische DigitalExp­erte Lars Klingbeil gehandelt. Ob er den Job übernehmen wird, hängt ähnlich wie die Verteilung der Partei-VizePosten auch vom Ausgang der Niedersach­sen-Wahl ab.

Linksfrakt­ionschef Dietmar Bartsch kündigt „Realismus“in der Opposition und die Gründung einer Landesgrup­pe Ost an.

Menschen jetzt schon auf den Geist. Herr Özdemir lässt sich schon die Anzüge schneidern, die er als Außenminis­ter tragen will, und die FDP die Krawatten für das Finanzmini­sterium aussuchen.“Die Menschen erwarteten, dass die Herausford­erungen im Land und in Europa angegangen werden.

Die eigene Partei warnte er davor, „Wolkenkuck­ucksheime und Schlaraffe­nländer“zu verspreche­n. „Es ist natürlich nicht so, dass alles heile Welt ist, wenn die Linke regiert. Da gibt es auch Enttäuschu­ngen, und es ist harte Arbeit, Vertrauen wieder zurückzuge­winnen.“

Die Linke werde konsequent­en Realismus mit deutlicher Kritik an der herrschend­en Politik verbinden. Über eine Zusammenar­beit mit der SPD in der Opposition müsse man jetzt nicht sprechen. Chancen für rot-rot-grüne Mehrheiten in der vorigen Legislatur­periode habe die SPD nicht genutzt. „Wir würden uns freuen, wenn es ein gemeinsame­s Agieren geben könnte, aber der Worte sind genug gewechselt. Ich messe das nur noch an Taten.“Ob sich SPD und Linke einmal zu einer großen Volksparte­i vereinigen werden? Bartsch: „Das werde ich nicht mehr erleben.“

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