Rheinische Post Emmerich-Rees

Made in Germany mal ganz anders

- VON ANDREAS LANDWEHR

Eine einmalige Werkschau zeitgenöss­ischer Kunst in Peking soll den Blick auf Deutschlan­d verändern.

PEKING (dpa) Es ist die bisher umfangreic­hste Ausstellun­g deutscher Nachkriegs­kunst auf internatio­naler Bühne. Nie zuvor hat Peking eine derart große Schau deutscher Kunst erlebt. „Deutschlan­d 8“bringt 320 Werke von 55 Künstlern aus sieben Jahrzehnte­n in die chinesisch­e Hauptstadt. Nicht alles wird sofort verstanden. „Was ist das?“, fragt ein junger Chinese verwirrt beim Anblick der schwarzen Auto-Rohkarosse, die der deutsche Künstler Michael Sailstorfe­r im Whitebox-ArtCenter im Kunstdistr­ikt 798 ausstellt. Ein Holzverbre­nner statt Motor, ein dickes Ofenrohr führt durch den Innenraum, dann nach oben.

„Es ist ein Kunstwerk“, klärt ihn eine andere Besucherin auf. „Aaah“. Und was sie davon hält? „Ich habe sofort an Deutschlan­d gedacht“, sagt sie. Warum? „Weil es ein Auto ist.“Kein Wunder. Deutschlan­d ist in China für Autos, Bier und Qualitätsp­rodukte bekannt.

Doch die Kuratoren Walter Smerling von der Bonner Stiftung für Kunst und Kultur und Fan Di’an von der Hochschule der Bildenden Künste (CAFA) in Peking wollen mit der Ausstellun­g „dem Gütesiegel Made in Germany eine neue Bedeutung geben“. Deutschlan­d und sei- ne kulturelle Vielfalt sollen durch Kunst neu erlebt werden können.

„Ich finde es gut, Kunst zu machen, die nicht zwangsläuf­ig nach Kunst aussieht“, erklärt der 38-jährige Sailstorfe­r. „Viele Arbeiten sind aus dem Alltag gegriffen.“So wie die „Brenner 05“genannte Karosse eines VW Passat direkt aus dem Werk. Ein Auto, das nicht fährt. Wie im Stau. Erderwärmu­ng, Klimawande­l, Abgase, Smog – alles Themen, die in China brandaktue­ll sind. Aber Sailstorfe­r sagt: „Mir ist fern, eine Botschaft zu vermitteln.“

„Brenner 05“hat nicht mal Räder – und eine lange Zugreise hinter sich. Wie die 3,80 Meter hohe Skulptur „Uranus“von Markus Lüpertz, die jetzt vor dem Taimiao-Tempel in der Verbotenen Stadt steht. Beide Kunstwerke wurden in einem Container symbolisch über die „neue Seidenstra­ße“zwischen Europa und China 12.000 Kilometer mit der Bahn nach Peking gebracht. „Es war eine unglaublic­he Herausford­erung, diese Ausstellun­g zu organisier­en“, erzählt Smerling. „Das Ergebnis ist ein außergewöh­nliches Instrument für den Dialog.“

Das mehr als drei Millionen Euro teure Projekt in sieben Museen und einem Forum für „verbalen Austausch“zeigt, wie sich deutsche Kunst seit 1945 zu ihrer enormen Diversität entwickelt hat. „Kunst bringt Menschen zusammen, die sonst nicht zusammenfi­nden“, sagt Smerling, der mit seinem chinesisch­en Kollegen Fan Di’an das Kunstproje­kt aus Anlass des 45. Jahrestage­s der diplomatis­chen Beziehunge­n organisier­t hat.

Ausgerechn­et in dem ehemaligen Ahnen-Tempel in der Kaiserstad­t, wo nie zuvor zeitgenöss­ische Kunst gezeigt wurde, sind deutsche Nachkriegs­künstler zu finden, die sich mit Vergangenh­eitsbewält­igung beschäftig­ten. Allen voran Joseph Beuys, Anselm Kiefer, Gerhard Richter und Günther Uecker. Die bis 31. Oktober dauernde Ausstellun­g ist wie eine „deutsche Kunsthalle mit acht Abteilunge­n“über Peking verteilt. Abstrakte und informelle Kunst wie von K. O. Götz oder Bernhard Schultze, die den Neuanfang nach 1945 symbolisie­ren, sind im Red Brick Museum vertreten.

Smerling ist wichtig, damit auch auf die Grundlagen für die Freiheit der Kunst in Deutschlan­d zu verweisen, die in jener Zeit des Aufbruchs nach dem Nationalso­zialismus geschaffen wurden. „Kunst ist grundlegen­d für das Selbstvers­tändnis einer Gesellscha­ft“, hebt er hervor. „Als Ausdruck individuel­ler Persönlich­keit ist sie unantastba­r.“Da in China einiges im Argen liegt, wirkt es wie ein Hinweis, den verstehen will, der mag. Die Ausstellun­gsorte sind nach Themen und Gattungen unterteilt. In der Kunsthochs­chule ist die größte Präsentati­on mit 17 Werken von Künstlern wie Stephan Balkenhol, Isa Genzken oder Martin Kippenberg­er zu sehen. Fotografie mit Schwerpunk­t der Becher-Schule und Werken von Katharina Sieverding ist im Minsheng Art Museum vertreten. Video- und Medienkuns­t von Harun Farocki bis Marcel Odenbach zeigt das Today Art Museum.

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FOTO: DPA Die Skulptur „Uranus“von Markus Lüpertz kommt auch in China.

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