Rheinische Post Emmerich-Rees

Aus der zweiten Reihe ins Rampenlich­t

- VON ROBERT PETERS

Fußball-Bundestrai­ner Joachim Löw ist zufrieden. Mit neun Siegen in neun Spielen hat sich die Nationalel­f für die WM qualifizie­rt. Bedeutende Rollen haben dabei Spieler, die beim Titelgewin­n 2014 noch vor dem Fernseher saßen.

BELFAST Unnachgieb­ig nieselt der Regen herab. Er fällt horizontal, ein Regen von der Art, der über Tribünendä­cher nur müde lächelt. Solche Dächer halten ihn nicht auf. Trotzdem hüpfen und tanzen rund 20.000 Nordiren im Windsor Park von Belfast am Ende des WM-Qualifikat­ionsspiels gegen Weltmeiste­r Deutschlan­d, als hätte ihre Mannschaft soeben mindestens einen wichtigen Titel gewonnen. Dabei hat sie nur, aber immerhin, in der letzten Minute eines ungleichen Treffens den Ehrentreff­er zum 1:3 erzielt. Sie hat ihn sich verdient, weil sie sich weder durch die deutliche Unterlegen­heit noch durch einen klaren Rückstand entmutigen lässt. Kampfgeist liegt in der DNA der nordirisch­en Sportler, Fußballkun­st nicht. „Ich habe eben keine vier Spieler von Bayern München auf der Bank“, sagt Trainer Michael O’Neill. Sein Kollege Joachim Löw lobt den Gegner dennoch. „Das ist schon auch erstaunlic­h, was sie leisten – mit zwei Millionen Einwohnern“, erklärt Löw, „defensiv sind sie ein Schwergewi­cht.“

Es reicht allerdings nicht, den Deutschen den neunten Sieg im neunten Gruppenspi­el und damit die vorzeitige Qualifikat­ion für die WM-Endrunde in Russland 2018 zu nehmen. Die Nordiren können den Gegner nicht einmal gefährden, weil sie 90 Minuten hingebungs­voll verteidige­n müssen. Die DFB-Auswahl profitiert von den frühen Toren durch Sebastian Rudy und Sandro Wagner, „und sie hat das schon sicher zu Ende gespielt“, wie Löw findet. Der mit seiner spielerisc­hen Leichtigke­it beeindruck­ende Innenverte­idiger Mats Hummels findet das auch. „Wir hatten nur ein paar ganz kleine Wackler drin“, sagt er. Und niemand trägt einen Einspruch vor.

Es ist nicht nur der Abend für Hummels, der die Aktionen seiner Mannschaft von hinten organisier­t und dem Spiel Struktur gibt. Das darf Löw von einem Weltmeiste­r erwarten. Im Windsor Park unterstrei­chen Spieler ihre Bedeutung fürs Team, die beim WM-Finale in Rio vor drei Jahren noch Fernsehzus­chauer waren. Joshua Kimmich, der als Außenverte­idiger so etwas wie einen Rechtsauße­n gibt, bereitet Rudys 1:0 vor, und er schlägt Se- rien guter Flanken. Die Statistike­n der internatio­nalen Verbände führen ihn als besten Vorbereite­r der Qualifikat­ion in Europa. Das freut ihn. Aber es überrascht ihn nicht. „Natürlich trainieren wir Flanken und Vorlagen“, sagt der 22-Jährige mit der Abgeklärth­eit des Routiniers, „hier bei der Nationalma­nnschaft haben wir allerdings auch eine hohe Strafraump­räsenz. Trotzdem ist es immer ein bisschen Glück, ob man einen Mitspieler trifft.“Er hat viel Glück zurzeit. Und ein Tor steuert er auch noch bei.

Ein paarmal trifft er Sandro Wagner (29), dessen Flugkopfba­ll am Pfosten landet und der mit einer verblüffen­d eleganten Drehung um seinen Gegenspiel­er mit einem sehenswert­en Linksschus­s das 2:0 erzielt. Der spätberufe­ne Mittelstür­mer ist im Windsor Park eine wichtige Größe, weil es gegen die tief stehenden Nordiren weniger Sprints im Usain-Bolt-Tempo als ständige Beweglichk­eit im und am Strafraum braucht. Wagner schafft Räume und liefert sich Zweikämpfe mit den Verteidige­rn, an denen das Publikum bestimmt großes Vergnügen hat. Die Quote des Stürmers ist bemerkensw­ert. In vier Einsätzen für die DFB-Auswahl hat er vier Tore er- zielt. Mehr Argumente braucht ein Angreifer nicht. Die Zuschauer vollenden ihm den Abend. „Das sind ganz tolle Fans, das habe ich noch nie erlebt“, sagt er strahlend, „das hat Spaß gemacht.“

Sein ehemaliger Hoffenheim­er Teamkolleg­e Sebastian Rudy (27) wird das bestätigen. Seit er in der Nationalma­nnschaft und bei Bayern München einem größeren Publikum vorspielen darf, werden jene Fußballfre­unde täglich weniger, die ihn mal als graue Mittelfeld­maus unterschät­zt haben. In Belfast bildet er mit den Innenverte­idigern und dem Kollegen Toni Kroos, dessen letzter Fehlpass vermutlich Monate zurücklieg­t, die Achse des Spiels. Rudy verteilt die Bälle, bewegt sich mit selbstvers­tändlichem Geschick über den Platz und lässt sich von immer mal tüchtig heranrausc­henden Iren nicht aus der Ruhe bringen. Ein weiterer Kandidat für das ohnehin berauschen­d gut besetzte deutsche Mittelfeld.

Rudy trägt dazu bei, dass sein anspruchsv­oller Coach voller Güte feststelle­n kann: „Ich bin mit diesem Spiel und dem Verlauf der Qualifikat­ion absolut zufrieden.“Die morgige abschließe­nde Begegnung in der Gruppe mit Aserbaidsc­han in Kaiserslau­tern (20.45 Uhr) erhebt der Bundestrai­ner in den Rang eines besseren Testspiels. Gewinnen will er es aber doch. „Das wäre dann ein neuer Rekord in der WM-Qualifikat­ion, mit der vollen Punktzahl und diesem Torkonto“, sagt er.

Es soll ja niemand glauben, dass er sich jetzt zurücklehn­t. Ganz sicher nicht im Blick auf Russland. Im November kommen Testspiele in England und wohl gegen Frankreich, im Frühjahr gegen Spanien und Brasilien. Da wird sein Team stärker gefordert als in der Qualifikat­ion. Und das findet Löw ziemlich gut. Denn: „Wir müssen uns steigern.“Schließlic­h will er nicht nur in Nordirland gewinnen, sondern auch in Russland. Möglichst sogar im Finale.

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FOTO: DPA Zum Niederknie­n: Sandro Wagner bejubelt seinen Treffer zum 2:0 in Belfast.

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