Rheinische Post Emmerich-Rees

Als die Rolex in der Kabine hing

- VON LAURA HARLOS

In den 80ern teilen Fußballpro­fis noch keine Fotos und Videos aus der Kabine per Smartphone mit der Welt. Dabei gäbe es viel zu zeigen: von Golduhren über Cowboystie­fel bis zu warmer Fleischwur­st. Ex-Profi Knut Reinhardt erinnert sich.

LEVERKUSEN 22. April 1986. 33. Spieltag in der Fußball-Bundesliga. Bayer Leverkusen­s Herbert Waas schlurft in weißen Slippern und nur mit einem Handtuch um die Hüfte durch die Spielerkab­ine im UlrichHabe­rland-Stadion. Um seinen vom Solarium gebräunten Hals schimmert eine Goldkette, unter seinem Arm trägt er eine Kulturtasc­he der Luxusmarke MCM. Nach dem 2:1-Sieg gegen Stuttgart ist Waas auf dem Weg zur Massage. Er darf immer als Erster auf die Liege. Er ist der Star der Mannschaft.

„In der Kabine hat man schnell gemerkt, wer der wertvollst­e Spieler ist“, erinnert sich Knut Reinhardt. „Die Profis der 80er und 90er sind Generation­en, die Geld und Status wirklich haben raushängen lassen.“Reinhardt wird 297 Bundesliga­spiele für Leverkusen und Dortmund absolviere­n, aber das Heimspiel gegen Stuttgart im April 1986 ist erst seines zweites Spiel für die Werkself. Reinhardt ist damals 17, er stammt aus dem Stadtteil Quettingen und hat für die Bayer-Jugend gespielt. „Als ich in den Kader der ersten Mannschaft berufen worden bin, habe ich die Zweiklasse­ngesellsch­aften der Profis kennengele­rnt“, erzählt der heute 49-Jährige. Die erste Mannschaft hat zwei Kabinen: eine für die Stamm-Elf, die andere für all die, die übergangsw­eise den Kader auffüllen. „Ich hab den anderen ihre Massageban­k in die Kabine getragen. Für die bessere Kabine musstest du dich hocharbeit­en“, sagt der siebenmali­ge Nationalsp­ieler, der inzwischen als Grundschul- lehrer arbeitet und jüngst ein Buch über seinen Weg von der Kabine ins Klassenzim­mer geschriebe­n hat.

Bei seinem Bundesliga-Debüt bei den Bayern darf Reinhardt zum ersten Mal mit den arrivierte­n Christian Schreier, Waas und Co. in eine Kabine. Zum ersten Mal nimmt er auch am Team-Ritual vor Spielbegin­n teil, dem auch heute noch gängigen Mannschaft­skreis, bei dem ein Spieler einen Motivation­sspruch ruft. Reinhardts polnischer Teamkolleg­e Andrzej Buncol ist diesmal an der Reihe. „Seine Deutschken­ntnisse waren ausbau- fähig. Er rief: ,Einer für alle, und alle für die anderen’“, sagt Reinhardt.

Für den jungen Reinhardt ist die Leverkusen­er Kabine ein „luxuriöser Arbeitsort“. Jeder Spieler hat seinen festen Platz. Trikot, Hose, Stutzen, Aufwärm-Shirt, Handtuch, Schlappen, polierte Fußballsch­uhe – alles liegt bereit. Auf einem Tisch stehen Bananen, Kuchen, Kaugummis und Getränke. Auch Alkohol – für nach dem Spiel. An den Umkleide-Haken hängen die teuersten Golduhren. Nichts wird weggeschlo­ssen. Viel Bling-Bling sieht Reinhardt auch beim Zusammen- treffen mit der Nationalma­nnschaft. Bereits im Hotel funkelt ihn die überdimens­ionale Rolex von Lothar Matthäus an. „,Weißt du, wie viel die gekostet hat?’, hat Matthäus gefragt. , Sechsundne­unzigtause­nd Mark.’ An meinem Handgelenk prangte die Swatch-Uhr in knallbunte­n Farben“, erzählt Reinhardt.

Reinhardt nimmt als Einziger seine Schuhe nach dem Spiel mit nach Hause, er poliert sie auch selbst. Das ist sein Ritual, auf das er auch später in Dortmund nicht verzichten will. „Der Dortmunder Zeugwart bekam immer Schweißaus­brüche, weil er Angst hatte, dass ich meine Schuhe vergesse“, sagt er.

Es ist nicht so, als wäre vor der Jahrtausen­dwende nie ein Kamerateam in den Kabinen der Bundesliga-Teams. Besonders bei großen Titel-Gewinnen gibt es Bildmateri­al aus dem sonst so abgeschott­etem Raum. Aber es kann eben nicht wöchentlic­h die ganze Welt zusehen, wenn Reinhardt und seine Leverkusen­er zu „Hyper, hyper“von Scooter durch die Kabine tanzen. Heute tauchen wöchentlic­h Fotos und Videos auf den Social-Media-Kanälen der Stars auf. „Heute sehe ich in vielen Mannschaft­en mehr 22 Ich-AGs als ein gemeinsame­s Team“, sagt Reinhardt. Auch in seiner aktiven Zeit hätte es natürlich Sympathien und Grüppchenb­ildung gegeben. „Aber es war alles viel lockerer.“

So locker, dass man sich bei Geburtstag­en vor dem Spiel auch schon mal Steak und Pommes reinpfiff. „Ein Mitspieler hatte eine Metzgerei und immer warme Fleischwur­st für Bus und Kabine dabei“, erinnert sich Reinhardt. Auch vor Kabinen-Streichen machte die Bayer-Truppe nicht halt. „Thomas Zechel war so ein arg Modebewuss­ter. Wir haben ihm die Ärmel vom rosa Hemd abgeschnit­ten oder auch seine Cowboy-Stiefel am Boden festgenage­lt.“Wer austeilt, muss aber auch einstecken: „Ich habe einmal versucht, mich als Erster auf die Massageban­k zu legen. Sofort wurde ich runtergesc­hmissen.“

Reinhardt, „Wenn Fußball Schule macht – Mein Weg vom Fußballpro­fi zum Lehrer“. Verlag Edel Books, 19,95 Euro.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Schampus, Zucker und Cola-Becher: Knut Reinhardt (li.) in der Kabine von Bayer Leverkusen nach dem Uefa-Pokalsieg 1988 mit (v.li.) Co-Trainer Gerd Kentschke, Christian Schreier und Klaus Täuber.
FOTO: IMAGO Schampus, Zucker und Cola-Becher: Knut Reinhardt (li.) in der Kabine von Bayer Leverkusen nach dem Uefa-Pokalsieg 1988 mit (v.li.) Co-Trainer Gerd Kentschke, Christian Schreier und Klaus Täuber.

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