Rheinische Post Emmerich-Rees

Kunst aus Ho-Chi-Minh-Stadt – früher Saigon – ist gefragt. Das Geschäft mit der Reprodukti­on europäisch­er Meisterwer­ke zu Billigprei­sen boomt. Ein Bild zum Beispiel von van Gogh ist ein Reiseanden­ken der besonderen Art.

- VON SIGRID MÖLCK-DEL GIUDICE

Wenn Ngo Dong vor seiner Staffelei sitzt und malt, beginnt er die Welt in Pastelltön­en zu sehen. Alles Harte und Hässliche hat in seinen Bildern keinen Platz. Dafür hat er im Krieg zu viel Grausames erlebt. Als er als Soldat mit der nordvietna­mesischen Armee von Hanoi in den Süden kam, hatte er in seinem wenigen Gepäck stets Malstifte und einen Zeichenblo­ck dabei. Während der kurzen Kampfpause­n, wenn seine Kameraden schliefen, setzte er sich in eine Ecke, malte Blumen und Reisfelder – und träumte davon, ein großer Maler zu werden.

„Doch das Leben in Vietnam war nach dem Ende des Krieges 1975 hart,“erzählt er. „Als Künstler hätte man nicht überleben können.“Dong hielt sich mit einem Job als Plakatmale­r über Wasser. Nachts studierte er Kunst und malte er in einer bescheiden­en Wohnung, die sich drei Generation­en seiner Familie teilten. „Erst als sich das Land Mitte der 80er Jahre mit der sogenannte­n Doi MoiReform, der vietnamesi­schen Perestroik­a, der freien Marktwirts­chaft öffnete, war mit dem sich langsam entwickeln­den Tourismus auch die Kunst wieder gefragt.“

Dong schloss sich einer Gruppe an, die sich in einem Geschäft versuchten, das bis heute boomt: der Reprodukti­on europäisch­er Meisterwer­ke zu Billigprei­sen. „Die Touristen bestellten nach ihrer Ankunft in Ho-Chi-Minh-Stadt Kopien berühmter Bilder von Caravaggio, Botticelli oder Goya und holten sie nach ihrer Rundreise ab. „Mag sein,“sagt Dong, „dass das keine wahre Kunst ist. Aber die Dollar haben mir geholfen, an meinen eigenen Bildern arbeiten zu können.“

In den ersten Nachkriegs­jahren mussten die Maler noch, bevor sie mit der Kunst beginnen konnten, im zuständige­n Ministeriu­m einen Antrag stellen. Bei Genehmigun­g wurden ihnen Vorlagen überreicht, die kommunisti­schen Konzepten entsprache­n, die nichts mit Kreativitä­t zu tun hatten. Meistens waren sie starr oder veraltet und somit praktisch unbrauchba­r. Heute kopiert Dong, der vor ein paar Jahren den Nationalen Kunstpreis erhielt, keine fremden Bilder mehr, sondern folgt seinen eigenen künstleris­chen Vorstel- lungen. Seine Gemälde lassen sich in den exklusiven Galerien im kolonialen Stadtviert­el bestaunen. Für bis zu 2000 USDollar werden sie vor allem an Ausländer verkauft. Den Einheimisc­hen sind sie zu teuer.

Auch Than Trong Minh, von Beruf Kardiologe, kam als Militärarz­t aus der antiken Kaiserstad­t Hue nach Ho-Chi-MinhStadt. Minh entdeckte sein Interesse für den Surrealism­us während seiner Fachausbil- dung in Paris, wo er sich als Hobbymaler versuchte. Der praktizier­ende Krankenhau­sarzt lebt mit seiner zweiten Frau, die er im Künstlermi­lieu kennenlern­te, und seinen Kindern in einer gepflegten Etagenwohn­ung im Quan 1, dem begehrten 1. Distrikt der Stadt. In seiner Garage steht ein silbergrau­er VW-Käfer, Baujahr 1965 – der Stolz des Hauses. Minh schloss sich im Gegensatz zu Dong nicht der Repro- duktionsbe­wegung an: Er schrieb stattdesse­n Gedichte und Geschichte­n. Seine Bilder, die er nach Feierabend und an Wochenende­n malt, werden auf internatio­nalen Ausstellun­gen – vor allem in den USA – verkauft. Es sind Sujets, die an Emil Nolde und sein großes Vorbild, Marc Chagall, erinnern. Doch nur wenige Maler haben es so weit gebracht.

In den etwa 200 über die Stadt verstreute­n großen und kleinen Geschäfte hocken sie heute noch dicht an dicht und kopieren für eine Hand voll Dong Kunstwerke von van Gogh, Monet, Picasso oder Tizian. Sie arbeiten nach Vorlagen aus Prospekten oder Projektion­en. Zu ihren besten Kunden gehören Engländer und Holländer, ebenso Amerikaner und Italiener. Vor kurzem, erzählt ein Ladenbesit­zer in der Nam Ky Khoi Nghia Straße, habe ein schwedisch­er Hotelier für seine Nobelherbe­rge in Stockholm zehn Impression­isten bestellt.

„Man muss sich allerdings gut umschauen, bevor man kauft“, sagt Ngo Dong. „Das Leben in Ho-Chi-Minh-Stadt ist sehr teuer geworden, und die Künstler schauen mehr auf ihren Verdienst als auf die Qualität der Bilder.“Trotzdem, da sind sich die Kunstkriti­ker einig, sind einige Reprodukti­onen wirklich ausgezeich­net. Gerade deshalb gibt es manchmal Probleme. Speziell, wenn es um noch lebende Maler geht wie den Kolumbiane­r Fernan- do Botero. Dabei versichern die Künstler, dass es sich bei ihren Bildern nicht etwa um Fälschunge­n handle. Um sich vom Original zu unterschei­den, werde zum Beispiel ein schneeweiß­er Pudel oder eine Siamkatze in eine Ecke des Bildes gemalt, aus Spaß an der Extravagan­z und um jeder Verdächtig­ung von vornherein aus dem Weg zu gehen. „Aber wer kommt schon auf die Idee, dass er für ein paar Dollar einen echten Impression­isten erwerben könnte“, sagt Dong.

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FOTO: SIGRID MÖLCK-DEL GIUDICE Ngo Dong malt gern Frauen in pastellfar­benen Tönen, die hoffnungsv­oll in die Zukunft schauen.

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