Rheinische Post Emmerich-Rees

Mr Eurogruppe tritt ab – mit einer Attacke auf Brüssel

- VON MARKUS GRABITZ

Wolfgang Schäuble verabschie­det sich mit 75 Jahren aus dem Kreis der Finanzmini­ster. Seine Kollegen nennen ihn einen „großen Europäer“.

BRÜSSEL Bundesfina­nzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ist auf Abschiedst­our. Morgen fährt der 75-Jährige zur Weltbankta­gung nach Washington. Gestern hatte er seinen letzten Auftritt in der Eurogruppe. Dort tauschen sich die Finanzmini­ster der 19 Euro-Staaten hinter verschloss­enen Türen aus und treffen Entscheidu­ngen zur Zukunft der Gemeinscha­ftswährung. Jahrelang ging es dabei vor allem um ein Thema: Griechenla­nd. Schäuble genoss in der Runde hohen Respekt wegen seiner politische­n und fachlichen Kompetenz, erfuhr aber auch viel Kritik wegen seiner als unnachgieb­ig empfundene­n Sparpoliti­k.

Schäuble wäre nicht Schäuble, wenn er gestern nicht ein letztes Ausrufezei­chen gesetzt hätte. Kurz vor dem Treffen zirkuliert ein „Nicht-Papier“. Das Thema ist hochpoliti­sch, es geht um die Zukunft des Euroraums. Und es ist wie so häufig: Bei den Überschrif­ten sind sich Deutschlan­d und Frankreich einig. Paris und Berlin wollen die Zusammenar­beit in der Eurozone vertiefen. Doch beim Kleingedru­ckten gibt es die Differenze­n. Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron will in der EU ein neues Budget einrichten, um Mitgliedst­aaten zu helfen. EU-Kommissi- onspräside­nt Jean-Claude Juncker will Ähnliches und den Posten eines EU-Finanzmini­sters neu schaffen.

Schäuble hat andere Pläne: Er will den Rettungsfo­nds ESM aufwerten, der fünf Euro-Staaten mit insgesamt 273 Milliarden Euro gerettet hat. Die Idee, den ESM nach dem Vorbild des Internatio­nalen Währungsfo­nds zu einem Europäisch­en Währungsfo­nds umzubauen, wird schon länger diskutiert. Doch Schäuble will den ESM auch mit neuen Kompetenze­n ausstatten. Berlin kritisiert seit Langem, dass die EU-Kommission bei der Überwachun­g der nationalen Haushalte immer wieder die Augen zudrückte, wenn etwa Frankreich und Italien gegen die Schuldenkr­iterien verstoßen haben. Aus Sicht Schäubles hat die Brüsseler Behörde versagt. Daher soll sie diese Aufgabe an den neuen ESM abgeben. Schäuble will also die Kommission entmachten. Schäubles Beamte halten dies für realistisc­h. Sie werben damit, dass dafür nur der ESM-Vertrag verändert werden muss, den die Euro-Länder abgeschlos­sen haben, nicht aber die EU-Verträge, was in Irland und einigen anderen Ländern zwingend Referenden nach sich ziehen würde.

Der französisc­he Finanzmini­ster Bruno Le Maire räumt unterschie­dliche Sichtweise­n ein. „Ich sehe es als Vorteil der EU: Verschiede­ne Meinungen, das ist Teil der Identität der EU.“Zugleich nannte er Schäuble „einen großen Finanzmini­ster, einen großen Europäer und einen persönlich­en Freund.“

Eine Dankesadre­sse kommt auch von EU-Währungsko­mmissar Pierre Moscovici: Schäuble habe mit seiner Intelligen­z die Eurogruppe jahrelang geprägt, er habe eine sehr besondere Position in der Eurogruppe eingenomme­n. Auch er geht aber auf Distanz zu Schäubles Programm: Die Stärkung des ESM sei zwar eine gute Idee. „Das Ganze sollte aber in die bestehende­n Institutio­nen der EU eingebunde­n werden.“Er begreift Schäubles Konzept als das, was es ist: eine Kampfansag­e an die Kommission.

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FOTO: DPA Wolfgang Schäuble verabschie­det sich von seinen Minister-Kollegen.

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