Rheinische Post Emmerich-Rees

Sieg in Niedersach­sen stärkt SPD-Chef Schulz – vorerst

- VON JAN DREBES

Der Parteivors­itzende spürt Rückenwind aus Hannover und will ihn für sich nutzen. Stephan Weil wird auch in Berlin einflussre­icher.

BERLIN Stephan Weil hat noch nichts gegessen, als er gestern Nachmittag mit einem Auftritt in der Bundespres­sekonferen­z den vorerst letzten Termin in Berlin absolviert. Getragen von Glücksgefü­hlen über seinen Sieg bei der Landtagswa­hl, lässt sich der niedersäch­sische Ministerpr­äsident das aber nicht anmerken. Geduldig beantworte­t er die Fragen zu seiner Zukunft, zur Zukunft der SPD – und immer wieder zu Martin Schulz. Denn der steht unter verschärft­er Beobachtun­g vieler Genossen, trotz des ersten Erfolgs seit Monaten.

Es sei kein Naturgeset­z, dass die SPD keine Wahlen mehr für sich entscheide­n könne, rief Weil, nachdem ihm Schulz im Willy-BrandtHaus den obligatori­schen Gewinner-Blumenstra­uß überreicht hatte. „Wenn wir es richtig machen, können wir auch gewinnen“, sagte er und musste später vor Hauptstadt­journalist­en sogleich betonen: Dies sei keine Kritik an Schulz. Es gebe bei den SPD-Mitglieder­n eine „tiefe emotionale Verbundenh­eit“mit Schulz. Dessen Integratio­nskraft sei ein „unschätzba­rer Vorteil“. Schulz sei der Richtige für die Erneuerung der SPD, sagte Weil, der eine Kandidatur als Vizechef offenließ.

Und tatsächlic­h darf sich der als Kanzlerkan­didat zwar gescheiter­te, aber mit 100 Prozent gewählte Vorsitzend­e Schulz vorerst als gestärkt betrachten. Rückenwind aus Hannover ist auch für ihn vorhanden, niemand ist in Sicht, der ihm den Posten streitig machen wollte.

Und trotzdem wird ihm wohl nur ein zweckgebun­dener Vertrauens­vorschuss gewährt: Martin Schulz bekommt für die dringend nötige Erneuerung der SPD eine zweite Chance. Diesen gigantisch­en Prozess zu lenken, wird überhaupt zur ersten Bewährungs­probe für ihn als Parteichef. Denn für die Ausübung dieses Amtes blieb ihm bisher ja kaum Zeit. Sofort nach seiner Nominierun­g im Januar begann für Schulz der Wahlkampf-Marathon. Und so lernen viele Genossen erst jetzt den Schulz’schen Normalzust­and kennen. Erste Lektion: Niedersach­sen dürfe keine Beruhigung­spille sein, „mit diesem Wahlsieg ist noch nicht ein einziges Problem, was wir anpacken müssen, aus der Welt“, sagte Schulz. Zweite Lektion: Die Erneuerung brauche Zeit und werde nicht mit dem Parteitag im Dezember abgeschlos­sen sein. Dritte Lektion: Diskussion wird wichtiger, etwa bei den acht Regionalko­nferenzen, die am 28. Oktober beginnen und bereits am 9. November enden sollen. Er wolle zuhören und nicht „mit ’nem neuen Zehn-Punkte-Plan um die Ecke kommen“, sagte Schulz in ruhigem, gar nicht mehr kämpferisc­hem Ton.

Doch schon jetzt murren Genossen, dass Schulz Führungsst­ärke beweisen solle. Er müsse auch Dinge vorgeben, dürfe nicht nur Füllhorn für fremde Ideen sein. Schulz selbst ahnt schon, dass die bisherige Geschlosse­nheit seiner Partei bröckelt.

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