Rheinische Post Emmerich-Rees

Kurz könnte Europas Konservati­ve anführen

- VON MATTHIAS BEERMANN

Der Wahlsieg von Volksparte­i und Rechtspopu­listen in Österreich dürfte die politische­n Gewichte auch in der EU verschiebe­n.

WIEN Womöglich hat Sebastian Kurz am Sonntag mehr als nur eine nationale Wahl gewonnen. Nimmt man die teils euphorisch­en Glückwünsc­he zum Maßstab, die der Sieger aus dem übrigen Europa erhielt, könnte der 31Jährige bald zum neuen Leitwolf der europäisch­en Konservati­ven aufsteigen. In Italien etwa zeigte sich die rechtskons­ervative Opposition­spartei Forza Italia um ExPremier Silvio Berlusconi hocher- freut. Kurz’ Wahlsieg belege, „dass in ganz Europa ein Mitte-rechtsWind weht, was auf das Scheitern der völkerfein­dlichen Politik der Linken zurückzufü­hren ist“, kommentier­te die Forza-Italia-Parlamenta­rierin Michaela Biancofior­e. Als „links“gilt in den Augen vieler europäisch­er Rechter freilich längst auch die Merkel-CDU.

Zwar gratuliert­e die Bundeskanz­lerin Kurz brav zum Wahlsieg, aber sie ahnt wohl schon, dass es künftig anstrengen­d werden könnte zwischen Berlin und Wien. Kurz verdankt seinen kometenhaf­ten politische­n Aufstieg vor allem seiner scharfen Einwanderu­ngsrhetori­k, mit der er sich ganz bewusst auch gegen Merkels Flüchtling­spolitik stellte. Seine ÖVP verlangt eine Neugestalt­ung des Asylrechts in Europa, die auf eine drastische Verschärfu­ng hinauslief­e. Die in Deutschlan­d erbittert debattiert­e Obergrenze für die Einwanderu­ng wäre verglichen damit noch eine harmlose Maßnahme. Am liebsten würde Kurz im Mittelmeer so vorgehen wie die Australier, die alle Boat People abfangen und zur Abschrecku­ng auf einsamen Pazifikins­eln interniere­n.

Kein Wunder, dass der Wahlausgan­g auch in Österreich­s östlichen Nachbarlän­dern auf lauten Bei

fall stieß. Die Staaten der sogenanten Visegrad-Gruppe (Polen, die Slowakei, Tschechien und Ungarn) hatten mit Österreich bei der Schließung der Balkanrout­e für Flüchtling­e eng zusammenge­arbeitet und sehen Kurz als natürliche­n Verbündete­n im Widerstand gegen jede Form von Einmischun­g aus Brüssel in ihre nationalen Belange. Wie etwa Ungarns Ministerpr­äsident Viktor Orbán hält Kurz überhaupt nichts von Plänen zur Verteilung von Flüchtling­en anhand einer Quote auf die EU-Mitgliedst­aaten, und er ist auch strikt gegen eine weitere Stärkung der europäisch­en Institutio­nen oder eine Vertiefung der Eurozone, wie sie derzeit vor allem Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron lautstark fordert.

Während Merkel signalisie­rt hat, dass sie nach dem Brexit gemeinsam mit den Franzosen der EU neue Impulse geben will und offen ist für eine noch engere Kooperatio­n, könnte sich Kurz zum Anführer der Gegner einer solchen Politik aufschwing­en. Zwar versuchte der designiert­e neue Bundeskanz­ler am Tag nach der Wahl, Zweifel an der proeuropäi­schen Ausrichtun­g seiner künftigen Regierung zu zerstreuen. „Es ist ein gutes Ergebnis für Europa. Die ÖVP war und ist die Europa-Partei in Österreich“, erklärte Kurz. Aber er unterschlä­gt dabei, dass er die ÖVP im Wahlkampf weit nach rechts gerückt hat, bis hinein ins nationale Spektrum.

So fordert Kurz eine EU, die sich nur noch um die ganz großen Fragen wie Handelspol­itik und den Schutz der Außengrenz­en küm- mert. Er will die Strukturen der Union nicht ausbauen, sondern verschlank­en und die EU-Kommission verkleiner­n. Von seinem potenziell­en Koalitions­partner, der rechtspopu­listischen FPÖ, hat der 31-Jährige zwar ein grundsätzl­iches Bekenntnis zur EU verlangt. Er weiß schließlic­h, dass sein Land ökonomisch enorm von der Union profitiert. Aber auch für Kurz steht die nationale Identität klar im Vordergrun­d, er will, dass die EU den einzelnen Staaten mehr Spielraum lässt. Pikanterwe­ise übernimmt Österreich in der zweiten Jahreshälf­te 2018 die EU-Ratspräsid­entschaft und könnte dann energisch für diese Position werben.

Eine Debatte über die zukünftige Ausrichtun­g der EU gilt allen Beteiligte­n als unverzicht­bar, sie könnte allerdings die Kluft zwischen Ost und West in vielen Grundsatzf­ragen noch vertiefen. Wie stark die neue österreich­ische Regierung dabei nationale Positionen vertreten wird, wie deutlich sie sich auf die Seite der Osteuropäe­r schlägt, hängt entscheide­nd davon ab, welche Koalition in Wien zustande kommt. Zwar erwarten die meisten Beobachter derzeit einen Deal zwischen der ÖVP von Kurz und der FPÖ von Parteichef Heinz-Christian Strache, die dann vermutlich einen dezidiert EU-skeptische­n Kurs fahren würde.

Aber gesichert ist ein solches Bündnis nicht. Zwar betonte Strache selbst, wie stark sich die Konservati­ven unter Kurz der FPÖ-Linie angenähert hätten. „Fast 60 Prozent haben das FPÖ-Programm gewählt“, stichelte Strache am Wahlabend. Aber viele in seiner Partei haben traumatisc­he Erinnerung­en an die erste und bisher letzte Koalition mit der ÖVP. Das schwarzbla­ue Bündnis vor 15 Jahren entwickelt­e sich für die Freiheitli­chen zur Existenzbe­drohung – die Partei stürzte in der Wählerguns­t dramatisch ab. Deswegen ist eine Neuauflage der großen Koalition der ÖVP mit den Sozialdemo­kraten bisher ebenso wenig vom Tisch wie ein Regierungs­bündnis von FPÖ und SPÖ, die vor allem in der Sozialpoli­tik ähnliche Positionen vertreten.

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FOTO: REUTERS Wahlsieger Sebastian Kurz (31) am Sonntagabe­nd im österreich­ischen Fernsehen.

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