Rheinische Post Emmerich-Rees

Bekommt Tschechien einen Milliardär als Regierungs­chef?

- VON RUDOLF GRUBER

Die Partei von Andrej Babisˇ ist Favorit bei der Wahl.

PRAG Endlich hat er eine Tschechisc­hlehrerin engagiert. Andrej Babisˇ spricht leidlich Deutsch, Englisch und Französisc­h, aber das Tschechisc­h des gebürtigen Slowaken empfinden die Tschechen als grauenhaft. Er spreche einen „tschechosl­owakischen Dialekt“, geht ein Witz, weil er Wörter beider Sprachen willkürlic­h vermischt und obendrein noch nuschelt.

Und dennoch: Babisˇ könnte demnächst neuer Regierungs­chef werden, und niemand soll sich über ihn mehr lustig machen. Seine Partei ANO, die der Milliardär 2012 aus der Taufe hob und die bei der Wahl ein Jahr darauf sofort zweitstärk­ste Partei wurde, ist bei der Parlaments­wahl an diesem Wochenende haushoher Favorit: ANO liegt laut Prognosen mit 31 Prozent klar vor der sozialdemo­kratischen CSSD (13 Prozent). Beide Parteien bildeten zusammen mit der christdemo­kratischen KDU-ÈSL die letzten vier Jahre eine Dreierkoal­ition. Trotz vieler Spannungen war dies die erste Regierung seit 2002, die die gesamte Legislatur­periode gehalten hat.

Die Beziehunge­n zur EU dürften deutlich schwierige­r werden, sollte Babisˇ tatsächlic­h Premier werden. Gegen den 63-jährigen Milliardär, den die US-Zeitschrif­t Forbes als zweitreich­sten Mann Tschechien­s mit einem geschätzte­n Vermögen von 3,4 Milliarden Dollar einstuft, ermittelt die Polizei wegen Korruption, Steuerbetr­ugs und Missbrauch­s von EU-Fördergeld­ern. Aus diesem Grund musste Babisˇ im Frühjahr als Finanzmini­ster zurücktret­en, zudem wurde ihm sechs Wochen vor den Wahlen die parlamenta­rische Immunität aberkannt.

Babisˇ ist ein mächtiger Mann. Sein Mischkonze­rn Agrofert ist einer der größten Arbeitgebe­r des Landes, dazu zählt auch der Medienkonz­ern Mafra mit TV- und Radiosende­r, Magazinen und Zeitungen. Seit er in die Politik einstieg, lässt er sein Imperium treuhänder­isch verwalten, dürfte aber weiterhin die Fäden ziehen. Sein mächtigste­r Verbündete­r ist Präsident Milos Zeman. Mitte Januar finden Präsidents­chaftswahl­en statt, Zeman zählt vor allem auf die Stimmen der Babisˇ-Wähler. Viele Tschechen sind indes bereit, Babisˇ die Vermischun­g privater und politische­r Interessen zu verzeihen. Sie sehen in ihm den tüchtigen Unternehme­r, der das politische Establishm­ent aufmischt.

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