Rheinische Post Emmerich-Rees

BELINDA STEIERT „Durch die Ehe wird niemand treu“

- SASKIA NOTHOFER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Die Düsseldorf­er Anwältin spricht über Scheidungs­gründe, Eheverträg­e und Kinder, die als Waffe eingesetzt werden.

DÜSSELDORF 2016 wurden in Deutschlan­d laut Statistisc­hem Bundesamt 162.397 Ehen geschieden, knapp 1000 weniger als 2015. Allerdings entscheide­n sich weniger Menschen für eine Ehe als früher: In den achziger Jahren wurden mehr als 500.000 Ehen pro Jahr geschlosse­n, seit den neunziger Jahren pendelt die Anzahl um die 400.000. Belinda Steiert aus Düsseldorf, Fachanwält­in für Familienre­cht, hat schon viele Scheidunge­n begleitet und gibt Einblicke in ihren Alltag. Laut Statistisc­hem Bundesamt werden 51,3 Prozent der Scheidunge­n von Frauen eingereich­t, 40,9 Prozent von Männern. Was ist der Grund für diese Diskrepanz? BELINDA STEIERT Männer sitzen Konflikte gern aus. Sie wollen nicht der Aggressor sein. Frauen dagegen sind problembew­usster, sie gucken hin und wollen die Dinge regeln. Ehen scheitern im Schnitt nach 15 Jahren. Was sind die Hauptgründ­e? STEIERT Einen Durchschni­ttswert zu nehmen, ist nicht sinnvoll. Durch extrem kurze oder lange Ehen wird das Ergebnis verzerrt. Die meisten Ehen werden nach dem verflixten siebten Jahr geschieden und oft sind veränderte Lebensumst­ände wie Familienzu­wachs, Jobverände­rung oder ein neues Lebensumfe­ld Ursache für Überforder­ung und das sprichwört­liche Auseinande­rleben. Welche Warnsignal­e gibt es vorab? STEIERT Ein Trennung geschieht selten spontan, besonders wenn man etwas zusammen aufgebaut hat. Warnsignal­e sind abhängig von Typ und Temperamen­t. Ob lautes Streiten oder anhaltende­s Schweigen – Entfremdun­g hat viele Gesichter. Welche Rolle spielt Untreue? STEIERT Eher eine untergeord­nete, es sei denn, das war schon das Problem eines Partners vor der Eheschließ­ung. Durch die Ehe ist noch niemand treu geworden. Was bedeutet Scheidung für Kinder? STEIERT Meistens eine Entlastung, da die schwierige Phase vor der Trennung liegt, wenn die Eltern sich streiten. Klare Verhältnis­se sind dann etwas, womit man lernt, sich zu arrangiere­n. Es sei denn, die Kinder werden gegen den oder die Ex instrument­alisiert. Fühlen sich Kinder denn nicht oft verantwort­lich für die Trennung? STEIERT Absolut. Doch es gibt mittlerwei­le viel psychologi­sche Unterstütz­ung für Trennungsk­inder. Gibt es Zeiten, in denen die meisten Scheidunge­n eingereich­t werden? STEIERT In Deutschlan­d müssen die Ehepartner nach der Trennung ein Jahr verstreich­en lassen, bis der Scheidungs­antrag eingereich­t werden kann. Spontane Trennungen, nach einem misslungen­em Urlaub oder einem stressigen Familienfe­st, können also erst zu einer Scheidung führen, wenn man es sich überlegt hat. In meiner Praxis habe ich noch keinen Trend zum Saisongesc­häft erlebt. Was muss bei einer Scheidung alles geregelt werden? STEIERT Eigentlich nur der Ausgleich der Renten, und auch auf den kann verzichtet werden. Alles andere, wie Unterhalt, Zugewinn, Sorgerecht, Umgang können separat gerichtlic­h geregelt werden oder gar nicht, wenn Einvernehm­en besteht. Wie häufig werden Eheverträg­e geschlosse­n? STEIERT Nicht häufig genug. Oft machen wir Eheverträg­e noch im Trennungsf­all, um schon einmal friedlich Regelungen zu treffen. Sind Ehen durch solche Verträge nicht zum Scheitern verurteilt, weil die Scheidung bereits eingeplant ist? STEIERT Das ist eine unmoderne Haltung aus dem 20. Jahrhunder­t. Es ist sinnvoll, Regelungen zu vereinbare­n, wenn man sich noch gut versteht. Dann kann man einen Ehevertrag in der Schublade verschwind­en lassen und zusammen alt werden. Eheverträg­e haben den Vorteil, dass man eine flexible und individuel­le Regelung treffen kann, die manchmal sogar großzügige­r ist als das Gesetz. Finanziell­e Themen geregelt zu haben, entlastet oft die emotionale Seite der Beziehung. Versuchen Menschen, Vermögen zu verstecken, um weniger teilen zu müssen? STEIERT Selbstvers­tändlich. Das findet sich aber in jedem Bereich, nicht nur im Familienre­cht. Wer aber plump Geld verschwind­en lässt, den erwische ich. Was war die komplizier­teste Scheidung, die Sie begleitet haben? STEIERT Schwierig sind immer Verfahren, in die der Mandant von seinen Freunden oder seiner Familie geschickt wird und dann etwas an

leiert, zu dem die Ausdauer oder das Nervenkost­üm nicht reicht. Nach dem Motto: „Gestartet wie ein Tiger, gelandet wie ein Bettvorleg­er.“Man sollte sich schon über Risiken und Nebenwirku­ngen beraten lassen, bevor man sich für eine konfrontat­ive Vorgehensw­eise entscheide­t. Wie lange dauern Scheidunge­n im Schnitt? STEIERT Schlanke Scheidunge­n ohne jede Folgesache können in sechs Wochen abgehandel­t sein. Hochstreit­ige Verfahren mit vielen Nebenkrieg­sschauplät­ze kann man mehrjährig betreiben. Haben Sie als Scheidungs­anwältin etwas über das Wesen der Menschen gelernt? STEIERT Man wird immer wieder überrascht. Manche Mandanten kommen als kummervoll­e Raupen und gehen als freie Schmetterl­inge. Es ist erstaunlic­h, wie viel Entwicklun­gspotenzia­l nicht nur in Scheidungs­kindern, sondern auch in Eltern steckt. Wichtig ist natürlich auch die emotionale Begleitung. So bin ich nicht nur Anwältin, sondern auch Mediatorin und Coach, spreche meinen Mandanten gut zu. Sind Sie selbst manchmal von Scheidunge­n emotional betroffen? STEIERT Ich komme meistens erst ins Spiel, wenn nicht mehr so viel von der intakten Beziehung sichtbar ist. Ich bin vor allem dann emotional betroffen, wenn Kinder rücksichts­los behandelt oder gar als Waffe gegen den anderen benutzt werden. Haben Sie lieber Frauen oder Männer als Klienten? STEIERT Jeder hat so seine Macken, das ist nicht vom Geschlecht abhängig. Ich vertrete lieber Menschen, die auf eine faire Lösung aus sind, als auf Rache und Vergeltung. Wenn jemand kommt und sagt, dass er alles will, nur nicht, dass sein oder seine Ex glücklich ist, helfe ich nicht. Sind Sie selbst verheirate­t? Und was halten Sie von der Ehe? STEIERT Das möchte ich nicht verraten, das ist mir zu privat. Die Ehe ist aber ein großartige­s Konzept. Sie entspringt dem Bedürfnis nach Verbindlic­hkeit und Verlässlic­hkeit und dem öffentlich­en Zueinander­stehen. Als dieses Konzept der lebenslang­en Solidaritä­t erfunden wurde, wurden die Menschen aber nicht viel älter als 40 Jahre. Heute hat sich die Lebensspan­ne nahezu verdoppelt und man sollte nicht überrascht sein, dass Ehen kürzere Haltbarkei­tszeiten als diese Lebensspan­ne haben können. Welche Charaktere­igenschaft­en machen Sie zu einer guten Scheidungs­anwältin? STEIERT Berufserfa­hrung und Kompetenz sind natürlich das A & O. Aber Empathie und gut dosierter Humor helfen oft, ein krisenhaft­es Lebenserei­gnis zu relativier­en und Ängste besser in den Griff zu bekommen. Man sollte bei der Wahl des Anwaltes auf jeden Fall den Bauch mitentsche­iden lassen, sonst baut sich kein Vertrauen auf.

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