Rheinische Post Emmerich-Rees

Held, Verräter, Überlebend­er

- VON DORIAN AUDERSCH UND JANNIK SORGATZ

Als Trainer von Bayer 04 kommt Heiko Herrlich heute zurück nach Mönchengla­dbach.

LEVERKUSEN Es ist Heiko Herrlich anzumerken, dass er nicht allzu gerne über dieses Kapitel seiner Karriere redet. Dennoch konzentrie­ren sich die Fragen an den Trainer von Bayer 04 vor dem Derby bei Borussia Mönchengla­dbach auf jene Episode, die im Sommer 1995 als „Judas-Affäre“für Schlagzeil­en sorgte. Der damalige Torjäger hatte nach einer angebliche­n mündlichen Zusage des 2009 verstorben­en Gladbacher Managers Rolf Rüssmann nach wochenlang­em Hin und Her seinen Wechsel zu Borussia Dortmund erzwungen – für die damalige Bundesliga-Rekordsumm­e von elf Millionen Mark. Der wenig schmeichel­hafte Beiname war geboren. 22 Jahre später holt ihn die Geschichte immer noch ein.

Dass er öffentlich als „Judas“beschimpft wurde, dürfte den gläubigen Christen damals wie heute getroffen haben. Sein Glaube ist für ihn eine Quelle der Stärke – vor allem in der bislang wohl schwierigs­ten Phase seines Lebens. Ein Hirntumor warf ihn 2000 komplett aus der Bahn. Nach erfolgreic­her Strahlenth­erapie kehrte er rund ein Jahr später auf die Fußballbüh­ne zurück, ohne jedoch an alte Erfolge anknüpfen zu können. 2004 beendete der dreifache Vater seine Laufbahn und wechselte anschließe­nd ins Trainerfac­h.

„Ich habe in meinem Leben auch mit Gott gehadert und Zweifel gehabt“, sagt er. Natürlich habe er sich nach der Diagnose und der kräftezehr­enden Behandlung gefragt, warum er das jetzt ertragen müsse. „Tief in mir hatte ich aber ein unerschöpf­liches Gottvertra­uen. Ich glaube, dass alles so seine Richtigkei­t hat“, sagt Herrlich. Das Überleben hat ihn stärker gemacht.

Die Liste seiner Erfolge als Spieler ist lang: Herrlich hat in Dortmund zwei Deutsche Meistersch­aften sowie 1997 die Champions League und den Weltpokal gewonnen. Mit Bayer 04, wo 1989 seine Profikarri­ere begann, und Gladbach holte er jeweils den DFB-Pokal. 1995 war er Torschütze­nkönig und ein Held der einen Borussia, ehe die unrühmlich­e Wechselaff­äre zur anderen Borussia seinen Lauf nahm.

„Das ist lange her, aber ich glaube, viele Dinge haben sich aufgeklärt“. sagt der 45-jährige, der sich nach wie vor nicht im Unrecht wähnt. „Das wird wahrschein­lich nie mehr so aufgearbei­tet und ich möchte das nicht noch einmal aufbausche­n. Ich weiß, was damals richtig war, und so habe ich mich auch verhalten.“Nun sei genügend Gras über die Sache gewachsen. Wer die Kommentare von Borussia-Fans unter einem Facebook-Post liest, in dem es um Herrlichs Rückkehr mit Bayer geht, könnte aber zu dem Schluss kommen, nur eine Minderheit habe ihm verziehen. „Verräter“und „Judas“steht da, und ein Kommentar, den unsere Redaktion löscht, weil er die Grenzen des Geschmacks überschrei­tet. „Ich habe Borussia Mönchengla­dbach sehr viel zu verdanken“, sagt Herrlich dennoch, „und auch Rolf Rüssmann, der mich damals extrem gepusht hat, dass ich so eine Leistung bringen konnte und Nationalsp­ieler geworden bin.“

Dass mit ihm damals so hart ins Gericht gegangen wurde, kann er nicht nachvollzi­ehen. „Man sollte sich in meine Situation versetzen: Ich bin 23 Jahre alt, denke, ich bin im Recht und werde dann wochenlang als das größte Geldschwei­n vorgeführt. Ich habe die Welt nicht mehr verstanden.“Böses Blut gebe es aber nicht mehr. Als Trainer des VfL Bochum war Herrlich vor knapp acht Jahren schon einmal in Mönchengla­dbach zu Gast – und feierte einen 2:1-Sieg. „Da hat keiner gepfiffen. Das war alles positiv.“

Zynisch gesehen ist Bayers Coach ein Trendsette­r. Es ist längst keine Seltenheit mehr, dass Spieler zu drastische­n Maßnahmen wie Trainingsb­oykott greifen, wenn sie einen Verein unbedingt verlassen wollen. Ex-BVB-Star Ousmane Dembélé, der im Sommer seinen Wechsel zum FC Barcelona er-

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FOTO: DPA Heiko Herrlich als 17-Jähriger im Juli 1989 als Spieler von Bayer Leverkusen. Er schoss in 83 Spielen für die Werkself acht Treffer.
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FOTO: MISERIUS Heiko Herrlich als 45-Jähriger im Juni 2017 als Trainer von Bayer Leverkusen. Er besitzt beim Werksklub einen Vertrag bis 30. Juni 2019.

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