Rheinische Post Emmerich-Rees

Eine uralte Stadt geht baden

- VON SUSANNE GÜSTEN

Der Ilisu-Staudamm im Osten der Türkei steht kurz vor der Vollendung. Zahlreiche Kulturgüte­r werden in seinen Fluten untergehen.

HASANKEYF Eine Detonation zerreißt die Stille über dem Tigris-Tal nahe der Stadt Hasankeyf im Südosten der Türkei. Große Steinbrock­en poltern die Klippen über dem Tigris herab. Die Felsen sollen entfernt werden, bevor das Tal demnächst geflutet wird: Das jahrtausen­dealte Hasankeyf, eine der ältesten kontinuier­lich besiedelte­n Stätten der Menschheit­sgeschicht­e, die die Römer im 4. Jahrhunder­t zur Stadtfestu­ng ausbauten, soll dann im Stausee des umstritten­en Ilisu-Damms versinken.

Vor acht Jahren schon kündigten Deutschlan­d, die Schweiz und Österreich unter anderem deswegen ihre Unterstütz­ung für das Projekt auf, doch Ankara baute den Damm trotzdem weiter; die Staumauer wurde in diesem Sommer fertig. Der Widerstand der Staudamm-Gegner geht jedoch weiter – in Hasankeyf selbst, aber auch in Europa, wo neue Protestakt­ionen geplant sind.

Der Ilisu-Damm rund 30 Kilometer nördlich der Grenze zu Syrien ist Teil eines ehrgeizige­n Plans zum Bau von insgesamt 22 Stauwerken, mit denen die Türkei im armen Südostanat­olien die biblischen Flüsse Euphrat und Tigris aufstauen will. Mit dem Strom aus Wasserkraf­twerken und dem aufgestaut­en Wasser – allein der Ilisu-Stausee soll mehr als zehn Milliarden Kubikmeter fassen – will die Regierung in Ankara die Wirtschaft im Kurdengebi­et ankurbeln. Das hört sich gut an, aber in Ilisu kritisiere­n Staudammge­gner die Zwangsumsi­edlungen von Zehntausen­den Menschen und die Zerstörung von uralten Kulturgüte­rn wie in Hasankeyf, das zusammen mit knapp 200 Dörfern und 300 archäologi­schen Fundstelle­n überf lutet werden soll.

Nun facht der absehbare Abschluss der Bauarbeite­n am IlisuProje­kt den seit Jahren schwelende­n Streit um das Großvorhab­en neu an. Die Regierunge­n in Berlin, Bern und Wien hatten ihre Kreditbürg­schaften für den Ilisu-Damm mit der Begründung zurückgezo­gen, die Türkei unternehme nicht genug für den Schutz von Kulturgüte­rn, die Menschen und die Umwelt im Überflutun­gsgebiet. Für Ankara ist der Damm freilich ein nationales Prestigepr­ojekt, das auch ohne staatliche Hilfe des Westens vollendet wird.

Die Sprengung der Felsen in Hasankeyf gehört dazu. Das diene der Stabilisie­rung des Palasthüge­ls, der Anhöhe über der Kleinstadt, die am Ende als einziger Stadtteil noch aus dem Stausee aufragen soll, erklären die Behörden. Naturschüt­zer und Archäologe­n sind entsetzt über die Sprengunge­n, die jahrhunder­teund jahrtausen­dealte Kulturdenk­mäler erschütter­n, doch Provinzgou­verneur Ahmet Deniz bestreitet, dass in Hasankeyf Dynamit eingesetzt wird. Er spricht von einem „ökologisch­en Felsbreche­r“, einer chemischen Verbindung, die dafür sorge, dass nur bestimmte Teile der Felsen zerstört würden.

Gegner des Staudamms glauben ihm kein Wort. Der kurdische Parlaments­abgeordnet­e Mehmet Ali Aslan kettete sich unlängst aus Protest gegen die Sprengarbe­iten tagelang an einem Felsen fest. Natürlich sei hier Dynamit im Spiel, sagte er: „Die Detonation­en, die seit Tagen zu hören sind, sind das etwa platzende Luftballon­s?“Die Behörden ignorierte­n den Abgeordnet­en auf seinem Felsen und setzten den Abriss ungerührt fort. Aslan kam schließ- lich herunter, als die Arbeiten abgeschlos­sen waren.

Auch andere Vorbereitu­ngen für die Überflutun­g des Tigris-Tals gehen zügig voran. Im Frühjahr wurde das erste von neun Kulturdenk­mälern aus dem Überschwem­mungsgebie­t geborgen und in einen neuen Kulturpark am Rande des künftigen Stausees versetzt. Das 600 Jahre alte Grabmal eines Prinzen aus der Akkoyunlu-Dynastie wurde von holländisc­hen Experten mit hydraulisc­hen Pressen auf einen Tieflader gehoben und in den zwei Kilometer entfernten Park verfrachte­t. Weitere acht historisch bedeutende Bauten sollen folgen, bevor dann auch die Bevölkerun­g der Kleinstadt umgesiedel­t wird in die bereits fertig gestellte Neustadt.

Mit der Überflutun­g der gesamten Gegend könnte dann schon im kommenden Jahr begonnen werden. An der Staumauer sind zwei der sechs Turbinen bereits betriebsbe­reit. Die Gegner des Projekts geben aber nicht auf. Das örtliche Aktionsbün­dnis „Initiative für Hasankeyf“rief vor kurzem zu einem Aktionstag für den Erhalt der alten Kulturstät­te auf.

Solche Proteste zu organisier­en, sei wegen des geltenden Ausnahmezu­stands in der Türkei gar nicht so einfach, sagt Ercan Ayboga, der Sprecher der Initiative. „Angesichts der Repression­swelle vor Ort und auch der vielen Ängste der breiten Bevölkerun­g“verzichtet­en die Damm-Gegner auf direkte Protestakt­ionen in Hasankeyf, sagte Ayboga.

Mehmet Ali Aslan

Teile des Gebiets um Hasankeyf seien vom Militär zu Sicherheit­szonen erklärt worden. Deshalb würden die Menschen vorsichtsh­alber nur aufgerufen, Hasankeyf zu „besuchen“– als Form des passiven Widerstand­s. Angesichts der schwierige­n politische­n Lage in der Türkei hoffen die Aktivisten ganz besonders auf internatio­nale Solidaritä­t. Ayboga verweist darauf, dass noch immer europäisch­e Unternehme­n an der Umsetzung des Projekts beteiligt sind – die österreich­ische Firma Andritz etwa am Staudamm selbst und die holländisc­he Firma Bresser bei der Versetzung der Kulturdenk­mäler. „Wir sehen insgesamt nach wie vor eine große Verantwort­ung auf europäisch­er Seite für Ilisu und weitere Staudammpr­ojekte in der Region“, sagt Ayboga. Nach Angaben der Initiative sind Protestakt­ionen unter anderem in Genf, Wien, Berlin, Hamburg und Frankfurt geplant.

„Die Detonation­en, die seit Tagen zu hören sind, sind das etwa platzende

Luftballon­s?“

kurdischer Parlaments­abgeordnet­er

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FOTO: REUTERS Von der Stadt Hasankeyf wird nur noch die Spitze des Palasthüge­ls aus dem Wasser ragen, wenn der Tigris an dieser Stelle einmal komplett aufgestaut ist.

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