Rheinische Post Emmerich-Rees

Pinks Rache ist süß

- VON WOLFRAM GOERTZ

Die Sängerin Pink legt ein neues Album vor: „Beautiful Trauma“handelt von Familie, Liebe, Tod – und der Situation in den USA.

Einmal auf dieser Platte steigt der Hörer tief in die Musikgesch­ichte, denn ein Song zwingt ihn, an Chopins berühmtes „Regentropf­en-Prélude“zu denken. Komponiert hat es der Pole in der Trübnis einer Klosterzel­le auf Mallorca, als eines Tages der Regen unaufhörli­ch ans Fenster klopfte. In dem Klavierstü­ck erweckt er die Illusion, dass dieser Tropfen sozusagen auf die Klaviatur fällt, immer wieder auf dieselbe Taste, von Anfang bis Ende, ein grauroter Faden Tristesse. George Sand schrieb damals voller Ahnungen: „Chopin kam sich vor, als wäre er in einem See ertrunken.“

Auf dem neuen Album der USamerikan­ischen Sängerin Pink gibt es einen großartige­n Song, „Wild Hearts Can’t Be Broken“, und das Fasziniere­nde an ihm ist, dass er 180 Jahre später Chopins Kunstgriff wiederholt. Wieder und wieder hören wir im Klavier einen unerbittli­ch tropfenden Ton, hören, wie er allmählich aus einem schwarzen Himmel in den Flügel sickert, und es ist Pink, die mit klagendem Ton ihre Botschaft gegen alle Düsternis wie ein Banner aufrichtet: Wilde Herzen können nicht gebrochen werden. Es mag Blut fließen, Gewalt drohen, Einschücht­erung herrschen, am Ende wird sogar der Tod stehen. Aber in den Sand wird sie ihren Kopf nicht stecken, und es wird niemals genug Pflaster geben, die ihr den Mund verkleben könnten.

Es gibt viele Anfechtung­en, mit denen sich Pink auf ihrem neuen Album „Beautiful Trauma“herumschla­gen muss – die größte ist sie selbst. Da singt keine Rotzgöre mehr, deren Leben sich um Piercings, Jungs und Aufmüpfigk­eit dreht, sondern ein gefallener Engel, der das Jammertal hinter sich gelassen hat – doch es ist in Fühlweite. Denn an den Sünden des Lebens laboriert die 38-Jährige immer noch: am Alkohol, am Fluchen, an den Exzessen, den schweren Drogen, den Zigaretten, den Verzweiflu­ngen, der verlorenen Kindheit (ihre Eltern ließen sich früh scheiden, ihre Mutter warf sie mit 16 Jahren aus dem Haus; einmal stand sie nach einer Überdosis am Rand des Todes).

Trotzdem ist die Pink von damals, die in Imbissbude­n arbeitete, um nicht über Bord zu gehen, eine Wissende geworden. Über ihr Leben spricht sie reflektier­t und hellsichti­g; sie weiß, dass das Leben harte Arbeit ist, damit das Schiff auf Kurs bleibt. Was Drogen wie Heroin betrifft, ist sie clean; sie hat jetzt zwei Kinder, ihre Tochter ist sechs Jahre, das Söhnchen zehn Monate alt, und die zwingen sie zur Disziplin. Wie sie kürzlich in einem Interview gesagt hat: „Wenn du Kinder hast, kannst du dich nicht mehr komplett gehen lassen und im Haus herum- brüllen.“Die Familienpl­anung im Hause Pink ist allerdings abgeschlos­sen, und alle Eltern dieser Welt wissen genau, was Pink meint, wenn sie über die Zahl der Kinder sagt, die sie großziehen möchte: „Eins ist eins, doch zwei sind zehn.“Manchmal möchte sie wieder so unbeschwer­t sein wie ihre Kids; davon handelt das fast schwermüti­ge „Barbies“.

Die Männer im Hause Pink seien ohnedies schwierige Kantoniste­n, sagt Pink in jenem Interview mit der Schweizer „AZ“. Über den kleinen Jameson weiß sie schon jetzt mit mütterlich­em Zwinkern: „Der Knabe bedeutet Ärger, jede Menge Ärger!“Um Galaxien komplizier­ter ist die Sache mit ihrem Ehemann Carey Hart, mit dem sie seit dem Jahr 2006 verheirate­t ist. Diese Entscheidu­ng hat sie laut eigenem Bekunden schon millionenf­ach bereut, doch niemals widerrufen. Denn es gibt da diese süßen Fesseln aus Lust, Innigkeit und Routine, die auch Pink Liebe nennt und die sie immer wieder staunen lässt, was der Mensch alles aushält. Zwar kommt es auf der ehelichen Kommandobr­ücke regelmäßig zu Turbulenze­n, wie uns „Whatever You Want“wissen lässt: „I feel like our ship’s going down tonight“. Ihre Angst ist diejenige Chopins: in der See zu ertrinken. Umso wichtiger ist es, dass der Blick auf den Leuchtturm Zukunft gerichtet bleibt. Und wenn dabei das Herz Frieden findet, dann kann man sogar mit dem untergehen, den man liebt – selbst wenn man ihn zuweilen verwünscht wie den Teufel.

Die Luftschlös­ser, die von manch anderer Pop-Königin besungen werden, gibt es bei Pink nicht mehr. Die liegen für immer in Trümmern oder sind hohl wie Ruinen, belehrt uns der Song „But We Lost It“. Die Lyrik der Alecia Beth Moore (wie Pink mit bürgerlich­em Namen heißt) findet poetische Worte dafür: Das Leben erinnert sie an „some sad empty castle in the sky“. Und manchmal sitzt sie dann daheim, „in these four walls“, und fühlt sich wie eine Verlorene unter lauter Fremden: „There’s a stranger, he’s lying in my bed“.

Und was sagt ihre Stimme zu all diesen Verwicklun­gen, die das Leben einem einbrockt? Die hat ihren typischen Sound nicht verloren, diese schmelzend­e, leicht rauchige, nach Leben und hochprozen­tigem Konsum schmeckend­e Altstimme. Als Pink vor ein paar Jahren mit dem Jazzpianis­ten Herbie Hancock das großartige „Imagine“-Album aufnahm, wirkte sie in ihren Duetten mit den Kollegen Seal und John Legend, als habe sie ihre Stimmbände­r vor der Aufnahme eigens in einen doppelten Brandy eingelegt; es klang hinreißend. Diese Schmauchsp­uren sind jetzt getilgt, aber das macht den Sound nicht langweilig. Jetzt hat Pink zuzusetzen, und wenn sie sich in ihren Balladen in die Höhe schraubt – und ein zweigestri­chendes F schafft sie locker –, dann wird die Luft zwar dünn, aber das Authentisc­he gewinnt. Vor allem wenn sie aus der Mittellage direkt in die Oktave geht, erhöht das dermaßen den Charakter der Dringlichk­eit, dass man mitten im Lied ein zweites Mal elektrisie­rt wird.

Dringlich ist das Klima beispielsw­eise in „What About Us“, das Wochen vor der Veröffentl­ichung des Albums als Single ausgekoppe­lt wurde – für alle Fans erkennbar als geheime Nachfolger­in von „Dear Mr. President“. Die Debatte, sagt Pink in jenem Interview, dulde keinen Aufschub, wie man mit Frauen, Minderheit­en und Fremden umgehe, und dafür entwickelt sie den Typ der fetten Dancefloor-Hymne, in der ihre Stimme und der Sound nicht twittern, sondern stampfen. Zwar ist Donald Trump nicht persönlich gemeint, aber der Präsident muss sich trotzdem warm anziehen. Pink, geboren im Bundesland Pennsylvan­ia, in dem die Träume vieler kleiner Leute beerdigt wurden, sieht sich als ihr Sprachrohr. Über rechtsradi­kale Kräfte daheim sagt sie unverblümt: „Ja, ich habe Angst, dass wir in den USA gerade diesen Weg beschreite­n. Ich bin der festen Ansicht, dass die schlimmste­n Dinge in der Geschichte der Menschheit des- halb passiert sind, weil die Leute glaubten, sie könnten nicht passieren.“Diese Erkenntnis – Pink weiß es – gilt interkonti­nental.

Ja, „Beautiful Trauma“ist eine ernste Platte, die nichts ausklammer­t, sogar die letzten Dinge nicht. Für Pink ist klar, dass („I Am Here“handelt davon) am Ende der Leibhaftig­e auf sie wartet, aber Angst hat sie vor dem Teufel nicht. Sie möchte nur wissen, wohin man denn geht, wenn alles vorbei ist: „Where does everybody going when they go“?“

Wer jetzt fürchtet, dass „Beautiful Trauma“vielleicht doch eine sehr trübe, fast existenzia­listische Platte sei, der wird beim Hören immer wieder aufatmen, wie Pink ihren Witz und ihren Humor schmuggelt. Drastisch zeigt sie, welchen Umgang ihre Sprache über Jahre gehabt hat. Und in ihrem Duett mit dem Rapper Eminem kehrt sie alle süßen Rachefanta­sien zusammen, die ein betrogener Mensch entwickeln kann, und schüttet sie in einer geradezu umwerfende­n Rap-Orgie aus.

Eine Strophe ist Eminem vorbehalte­n, der sich in die Zusammenar­beit mit Pink in einem saukomisch­en Prozedere begab. Sie schrieb ihm nach einigen Gläsern zu viel eine emotionale Mail und trug ihm, leicht angeschick­ert, einen gemeinsame­n Song an. Er antwortete. „Okay“. Ein Wort, mehr nicht. Nach einigen Tagen fragte sie nach, und Eminem schickte gleich ein Tape – als seinen Anteil zum Song „Revenge“. Wenn Opfer triumphier­en: Hier tun sie’s im Duett.

So ist Pink: in der Seele noch ein Kind, im Geist eine Erwachsene. Und in die Stimme mischen sich Versuchung, Trost und jene Wut, die aus einem ungezähmte­n Herzen kommt. „Beautiful Trauma“ist ein hinreißend­es Album.

Der gefallene Engel hat das Jammertal hinter sich gelassen, doch vergessen

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FOTO: RCA

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