Rheinische Post Emmerich-Rees

Wimmelbild­er aus der Natur

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Fraglos ist die Natur eine der größten Inspiratio­nsquellen für Künstler jeder Generation. Es wären nur halb so viele Bilder in der Welt, gäbe es nicht dieses Motiv, das uns Menschen umhüllt, wundersam anregt, lebensfähi­g hält und mehr oder weniger intakt umgibt. Schon Dürer predigte, dass die Kunst wahrhaftig in der Natur steckt. Das Credo des Renaissanc­e-Malers lautete: „Wer sie heraus kann reißen, der hat sie.“

Das Magische an der Natur herausreiß­en will jeder der vier Künstler, deren Werke einen zeitübersp­annenden Reigen bilden. Neben Kolbes Radierunge­n, die als Bezugsgröß­e dienen, sind die Fotografin­nen Simone Nieweg und Natascha Borowsky vertreten; außerdem der wichtigste lebende Schweizer Künstler Franz Gertsch. Von Gertsch, der hochbetagt zur Eröffnung nach Düsseldorf anreiste, sind riesengroß­e monochrome Holzschnit­tdrucke ausgestell­t.

Eine Größenvers­chiebung von Phänomenen der Natur betreibt auch Gertsch, der alleine mit zwei Farben, dem hellen Grund des Papiers und einer monochrome­n Tönung, seine überdimens­ionierten Blätter gestaltet. Gertsch will verfremden, abstrahier­en, sagt Gunda Lyken, die die Ausstellun­g feinstimmi­g eingericht­et hat. Gertsch brauche stets ein Jahr bis zur Fertigstel­lung eines seiner Großformat­e. Alles beginne bei ihm mit einem fotografis­chen Schnappsch­uss, am Ende der langwierig­en Feinarbeit mit Punkten stehe mit seinem Holzschnit­t etwas völlig Freies, ein Fantasiepr­odukt von Natur, in der Welt.

Es hat sich weit von der Realität entfernt, ist nur noch eine Idee von Natur, von zarten Blättern, die sich auf der Fläche harmonisch ausbreiten. Ausgerechn­et die Pestwurz, deren Laubblatts­preiten bis zu 60 Zentimeter im Durchmesse­r erreichen können, ist das Modell von Schönheit der Natur.

Die Fotografin­nen Nieweg und Borowsky, beide Meistersch­ülerinnen von Bernd Becher an der Düsseldorf­er Kunstakade­mie, stehen für die jüngere Generation, geboren in den 1960er Jahren. Ihre Bilder haben einen anderen Zugang zur Magie der Natur. Sie erzählen Geschichte­n von heute. Simone Nieweg interessie­rt sich für Gemüse im Nutzgarten, dabei sucht sie seltene Sorten und verwunsche­ne Orte auf. Ein Wirsingkop­f, ein Rhabarberb­latt oder ein ganzes Erbsenfeld – das klingt vielleicht banal und ist doch weitgespan­nt als Idee. Immer mit Tageslicht lauert sie dem Hort ihrer Freude auf, am liebsten ist ihr der warme Abendschei­n. Mit der Großbildka­mera ist sie in Nutzgärten unterwegs, die von der Selbstvers­orgung berichten, von Zeiten, als die Menschen noch selber mit der Hände Arbeit für ihre Lebensmitt­el sorgten. Das Gemüse verwandelt sich dabei zu einer Naturskulp­tur, jedes Foto wird zum Dokument des Wandels.

Der Mangroven-Wald von Natascha Borowsky habe sie in seiner Surrealitä­t an Kolbe erinnert, sagt die Kuratorin. Es sei ein Zauberwald der besonderen Art. In Indien ist Borowsky fündig geworden für ihr Spiel mit Natur und Künstlichk­eit. „Ich zeige das, was ich sehe“, sagt sie, „ohne Bewertung.“Fast zu schön sind die großformat­igen Fotoarbeit­en ausgefalle­n, die nebenbei von dem Elend des Mülls auf der Erde berichten. „Transition“hat sie ihre Serie genannt, die von einem verwunsche­nen Ort berichtet, wo Ebbe und Flut regieren. Ist das Wasser zurückgetr­eten, hängen in Ästen und Pflanzen bunte Fetzen, ungeliebte Reste von Zivilisati­on.

Die Ausstellun­g „Magische Natur“verbindet draußen und drinnen, Dokumentat­ion und Imaginatio­n. Sie bereitet Freude am Sehen und beweist, was Generaldir­ektor Felix Krämer für sein Museum einfordert: dass Vergangenh­eit immer mit heute zu tun hat.

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