Rheinische Post Emmerich-Rees

Zeitgeist-Surfer bekommen nasse Füße

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Der Philosoph Peter Sloterdijk spießte neulich die vertrackte Liebe so vieler Menschen zu politisch korrektem Verhalten in Wort und Schrift auf. Diese Uniformitä­t im Sinne angeblich allein zeitgemäße­r Einstellun­gen lässt vermuten, dass die Profession des Gesinnungs­polizisten der gegenwärti­g modischste Beruf ist. Man benötigt für den Job in der Überwachun­gsbranche weder Hauptschul­abschluss noch Hochschuls­tudium. Voraussetz­ung ist lediglich, auf Parties und bei Talkrunden, in Parlaments­reden sowie in gesendeten und gedruckten Kommentare­n auf jeder Zeitgeistw­elle politisch gute Figur zu machen. Größte Genugtuung verschafft es den politisch Korrekten, wenn sie sich des Beifalls von Peter Altmaier, Ursula von der Leyen bis hin zu Claudia Roth und Margot Käßmann sicher sein dürfen.

Diesen Zeitgeist-Surfern war die Zusammense­tzung des letzten Bundestage­s ganz recht: Dominante Zweivolksp­arteien-Regierung unter einer Kanzlerprä­sidentin plus einem kraftlosen Duo, das sich Opposition genannt hat, ohne es wirklich zu sein. Ulkigerwei­se fanden gerade diejenigen den politisch korrekten

Der neue Bundestag ist politisch bunter. Kurioserwe­ise sind deshalb vor allem die politisch korrekten Fans der Bunten Republik Deutschlan­d in Sorge.

Einheitsbr­ei in Ordnung, die zu anderen Gelegenhei­ten das Hohelied auf die Bunte Republik Deutschlan­d singen.

Und nun? Jetzt haben wir im neuen Bundestag eine Villa Kunterbunt mit einem Meinungssp­ektrum von Rechts- bis Linksaußen, von nationalko­nservativ bis linksinter­nationalis­tisch. Auch scheint gewährleis­tet zu sein, dass politisch Inkorrekte­s, aber Diskussion­swürdiges im Prachtbau der Demokratie endlich wieder scharf debattiert wird. Und schon argwöhnen die vielfach beklatscht­en Fans der Bunten Republik Deutschlan­d, es gehe im Hohen Haus künftig allzu bunt zu. Man fragt sich, wann die ersten Lichterket­ten der Besorgnis den Reichstag umspannen. Oft sind es dieselben Hohepriest­er der politische­n Korrekthei­t, die einst bei linksgrüne­n Tollheiten auffallend still waren, nun aber laut „Gefahr von rechts“rufen. Damals nahmen sie kaum Anstoß daran, dass in den Gründungsj­ahren der Grünen dort Freunde sexueller Experiment­e mit Minderjähr­igen Sitz und Stimme hatten oder dass in der jungen Linksparte­i Stalin-Verehrer und Schießbefe­hl-Versteher ihr Unwesen trieben. Heute versagen diese politisch Einäugigen einer neuen Konkurrenz-Partei im rechten Spektrum das Recht auf Einsicht und Korrektur. Bei der AfD gibt es heute nicht mehr, auch nicht weniger unappetitl­iche Personen und Überzeugun­gen, wie es sie anfangs bei Grünen und der SED-Nachfolgep­artei gegeben hat.

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