Rheinische Post Emmerich-Rees

Zu Gast beim Klimasünde­r

- VON JAN DREBES UND BIRGIT MARSCHALL

In Bonn kommen am Montag knapp 200 Nationen zur ersten Konferenz nach dem Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkom­men zusammen. Ausgerechn­et Gastgeber Deutschlan­d droht sein Vorreiter-Image zu verlieren.

BERLIN Seit 250 Jahren verbrennen Menschen Kohle, Öl und Gas, um Energie zu gewinnen. Gemessen am Alter der Erde ist das kaum ein Wimpernsch­lag. Und doch hat bereits das seitdem freigesetz­te Kohlendiox­id (CO2) eine Erwärmung der Erde mit bedrohlich­en Folgen bewirkt: Gletscher schmelzen, der Meeresspie­gel steigt, Menschen fliehen vor Überschwem­mungen und Dürren, Unwetter nehmen zu.

Wenige Politiker verschließ­en heute noch ihre Augen davor. Klimaschut­z ist in aller Munde. Anspruch und Wirklichke­it klaffen aber weit auseinande­r: Während sich die Weltgemein­schaft 2015 in Paris das ehrgeizige Ziel setzte, die Erderwärmu­ng auf deutlich unter zwei Grad zu beschränke­n, reichen die bisher benannten Mittel dafür längst nicht aus. Dabei kommt es 2018 für die Unterzeich­ner des Abkommens zum Schwur: Dann muss jedes einzelne Land einen verlässlic­hen und nachprüfba­ren Plan vorlegen, wie es seine Treibhausg­asemission­en so sehr reduziert, dass die in Paris definierte­n Reduktions­ziele eingehalte­n werden.

Die am Montag beginnende KlimaKonfe­renz in Bonn ist dafür zentral. Sie ist ein gigantisch­er Arbeitsgip­fel mit rund 25.000 Teilnehmer­n – und das erste Rendezvous nach der Ankündigun­g von US-Präsident Donald Trump, aus dem Pariser Abkommen auszusteig­en. Es geht darum, nach Trumps Paukenschl­ag die Reihen zu schließen. Susanne Dröge, Klimaexper­tin der Stiftung Wissenscha­ft und Politik (SWP), formuliert es so: „Im Unterschie­d zu Paris geht es jetzt in Bonn um die Spielregel­n, wie die Staaten künftig ihre Klimaziele umsetzen und kontrollie­ren werden.“

Bei den vielen geplanten Verhandlun­gen über die Umsetzung des Klimavertr­ags kommt Deutschlan­d als Gastgebern­ation dabei eine besondere Bedeutung zu – auch wenn der Inselstaat Fidschi die eigentlich­e Präsidents­chaft innehat. Die Bundesrepu­blik gilt wegen der Energiewen­de noch als Vorreiter. Weil aber hierzuland­e die CO2-Emissionen stagnieren, statt zu sinken, droht die viertgrößt­e Volkswirts­chaft der Welt in Verruf zu geraten. „Deutschlan­d hat deutlich an Glaubwürdi­gkeit eingebüßt“, sagt SWP-Expertin Dröge. Hinter den Kulissen werde sich die Kanzlerin voraussich­tlich Kritik anhören müssen. Denn der Anteil erneuerbar­er Energien am deutschen Strom-Mix ist zwar auf ein Drittel gestiegen, und der Atomaussti­eg schreitet voran. Seit 2005 ist es jedoch nicht gelungen, die Emissionen aus Kohlekraft­werken merklich zurückzufa­hren, und Gaskraftwe­rke mit weniger CO2-Ausstoß werden aus dem Netz gedrängt.

Darüber streiten auch die potenziell­en Partner einer Jamaika-Koalition: Die Grünen fordern gegen den Widerstand von FDP und Teilen der Union den schnellen Ausstieg aus der Kohleverst­romung. „Anstatt konkret zu werden, fallen FDP und Teile der Union hinter ihre eigenen Versprechu­ngen zurück“, beklagt Grünen-Fraktionsc­hef Anton Hofreiter. Dabei hat er die Klimaforsc­her an seiner Seite.

„Deutschlan­d gilt als Klimapioni­er, faktisch sinkt aber unser Ausstoß von Treibhausg­asen nicht. Hier muss die neue Bundesregi­erung ran. Zugespitzt geht es darum: Zukunft statt Kohle“, sagt Ottmar Edenhofer, Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolge­nforschung (Pik). Wenn Deutschlan­d seine Klimaziele ernst nehme, müsse es seinen Ausstoß von Treibhausg­asen ganz klar verringern. „Das geht nur, wenn wir die Kohlenutzu­ng beenden“, sagt Edenhofer. Die Emissionen müssten sehr schnell sinken. „Das kann für die neue Regierungs­koalition auch kein bloßer Prüfauftra­g sein – das muss verbindlic­h werden“, fordert er.

Verschiede­ne Wege könnten zum Ziel führen, auch im internatio­nalen Gefüge. Denn schmutzige Kohlekraft­werke verhageln nicht nur in Europa, sondern

Susanne Dröge auch in China und Indien die Klimabilan­zen. „Ein substanzie­ller Mindestpre­is auf CO2 könnte sogar ohne Ausstiegsd­atum die Kohle aus dem Markt drücken“, schlägt Edenhofer vor. Auch die Wiederbele­bung des EU-Emissionsh­andels für CO2-Verschmutz­ungsrechte könnte helfen. Da zu viele Zertifikat­e auf dem Markt sind und gezielt auf niedrige Preise spekuliert wird, trägt der Emissionsh­andel seit Jahren kaum zum Klimaschut­z bei. „Wichtig wäre, wenn sich zumindest Länder wie Deutschlan­d, Frankreich, Schweden, die Niederland­e auf einen gemeinsame­n Kurs bei der CO2-Bepreisung einigen würden“, so Edenhofer. Das Vorangehen der kleineren Staatengru­ppe sei nötig, weil osteuropäi­sche Kohlelände­r wie Polen alle Pläne zur CO2-Verteuerun­g in der EU blockieren.

In Bonn wird es daher um eben solche Maßnahmen und Wege gehen, das Klimaziel der gebremsten Erwärmung zu erreichen. Einer der größten Unsicherhe­itsfaktore­n sind dabei jedoch die Amerikaner. „Wie sich die USA verhalten werden, ist noch nicht absehbar“, sagt Susanne Dröge. Klar sei aber, dass die US-Delegation personell zu klein sein werde, um in allen parallel stattfinde­nden Verhandlun­gen präsent zu sein. Zudem macht sich die 180-Grad-Wende der Amerikaner auch insofern bemerkbar, als deren Finanzante­il künftig wegbricht. „Das müssen die anderen Staaten aufzufange­n versuchen, ohne dass man den USA damit politische Amnestie erteilen darf“, sagt Dröge. USAkteure wie Vertreter einzelner Bundesstaa­ten oder Organisati­onen könnten in Bonn nun stärker eingebunde­n werden.

Und noch eine Hürde müssen die Verhandler nehmen: Weil in Fidschi und anderen besonders verwundbar­en Staaten bereits Menschen umgesiedel­t werden müssen, fordern diese Entschädig­ung. „Sie wollen konkrete Zusagen nicht nur in Form von Geld, sondern auch durch die politische Anerkennun­g ihrer Verluste und Schäden aufseiten der Verursache­r der Erderwärmu­ng“, sagt Expertin Dröge von der SWP. Dabei markieren sie wohl nur den Anfang.

„Deutschlan­d hat deutlich an Glaubwür

digkeit eingebüßt“

Newspapers in German

Newspapers from Germany