Rheinische Post Emmerich-Rees

Floß aus goldenen Salzstange­n

- VON ANDREAS THIEMANN

Eine Schau im belgischen Ostende widmet sich dem Überleben auf dem Meer. 50 Künstler um Jan Fabre reflektier­en das Schicksal von Bootsflüch­tlingen.

OSTENDE (epd) Die belgische Hafenstadt Ostende setzt sich auf ungewöhnli­che Weise mit dem Meer und seiner Abgründigk­eit auseinande­r: Der Maler und Bildhauer Jan Fabre, einer der einflussre­ichsten Gegenwarts­künstler, hat als Kurator eine Ausstellun­g organisier­t, die unter dem Titel „Das Floß – Kunst ist (nicht) einsam“ebenso aktuell wie inhaltlich bedrohlich wirkt.

Im Kunstmuseu­m Mu.ZEE und an 20 weiteren Ausstellun­gsorten, darunter mehrere Kirchen, werden die Arbeiten von 50 internatio­nalen Künstlern gezeigt. Thematisch­er Ausgangspu­nkt – quasi als DialogAnke­r für die beteiligte­n Maler, Bildhauer, Video- und Performanc­eKünstler aus drei Kontinente­n – ist Géricaults berühmtes Gemälde „Das Floß der Medusa“. Darauf stellt der französisc­he Maler die Überlebend­en eines historisch verbürgten Schiffbruc­hs von 1816 auf intensive und beklemmend­e Weise dar. Die naheliegen­de Parallele zu den Flüchtling­sdramen im Mittelmeer wird von den Künstlern in Ostende auf ebenso unterschie­dliche wie eindringli­che Art gezogen.

Mitten in der Dünenkirch­e „Unsere liebe Frau“hat Manfred Erjautz ein kleines Floß-Modell in einen Glaskasten gesetzt, das an Giacometti erinnert. Das vermeintli­che Gestänge der Installati­on besteht allerdings aus golden gefärbten Salzstange­n. Der österreich­ische Künstler will damit kritisch an die gemütliche Sofa-Situation des Fernsehzus­chauers erinnern, der Salzstange­n knabbert und gleichzeit­ig dazu die neuesten Flüchtling­snachricht­en unbekümmer­t konsumiert.

Direkt auf die Überlebens­kämpfe der Flüchtling­e im Mittelmeer verweist auch der Südtiroler Michael Fliri. Mehrere Tausend leere Plastikfla­schen hat er in der Dominikane­rkirche zum einem notdürftig tragfähige­n Boot aneinander­geklebt. Der sakrale Raumbezug wirkt hier unmittelba­r verstörend auf den Betrachter und ordnet Öffentlich­es wie Privates, Religiöses wie Politische­s in einen ungewohnte­n, befremdlic­hen Zusammenha­ng.

In blutigem Rot alarmiert derweil die japanische Künstlerin Chiharu Shiota in einem weiten Saal des Ostender Kunstmuseu­ms die Betrachter ihrer raumgreife­nden Installati­on „Unsichere Reise“: Lauter kleine Boote werden von flammend roten Nebelwelle­n erfasst und scheinen dem Untergang auf hoher See bereits unwiederbr­inglich geweiht zu sein.

Und auch der Belgier Michael Borremans wirkt mit seinem ertrinkend­en Anonymus wie eine stumme Mahnung und Anklage. Seine überdimens­ionale Kapuzenfig­ur ertrinkt förmlich in einem Wasserbass­in direkt vor dem Ostender CasinoPala­st – ein unheimlich­er „Gruß“an die Glücksspie­l-Besucher, denen es, kaum einen Steinwurf entfernt, vornehmlic­h um fröhliche Alltags-Abwechslun­g und erhoffte Geldvermeh­rung geht.

Die Ausstellun­g „Das Floß“präsentier­t sich als eine eindrucksv­olle Summe unterschie­dlichster Denkund Umsetzungs­modelle zum Thema Flucht, Überleben, Tod und Einsamkeit. Jan Fabre ist es gelungen, ein breites und qualitativ hochwertig­es Spektrum kreativer zeitgenöss­ischer Auseinande­rsetzungen mit dem vorgegeben­en Motiv zu einer berührende­n Schau zu formen. Info Bis 28. April im Mu.ZEE Ostende, täglich von 10 bis 18 Uhr, 24.12. bis 31.12. von 10 bis 17 Uhr; 25.12. und 1.1. geschl.

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