Rheinische Post Emmerich-Rees

Merkels Vizekanzle­r – Warnung an die Männer

- VON KRISTINA DUNZ

Die Kanzlerin hatte bisher fünf Stellvertr­eter, keiner war von Erfolg gekrönt. Nicht verheißung­svoll für Lindner, Kubicki oder Lambsdorff.

BERLIN Den Posten gibt es gar nicht, und doch ist es ein vertrauter Titel: Vizekanzle­r. Der Begriff hat sich irgendwann eingebürge­rt und gefällt den Amtsinhabe­rn, weil er mächtig klingt. Er hat nur eben kaum etwas zu bedeuten. Denn beim Vizekanzle­r handelt es sich nicht um einen Vizechefpo­sten und auch nicht um das Amt des stellvertr­etenden Kanzlers. Im Grundgeset­z steht lediglich dieser Satz: „Der Bundeskanz­ler ernennt einen Bundesmini­ster zu einem Stellvertr­eter.“Seit zwölf Jahren ernennt in diesem Fall die Bundeskanz­lerin einen Vertreter, dem sie sehr selten die Wahrnehmun­g der Amtsgeschä­fte überlässt. Am ehesten noch ein-, zweimal im Sommer, wenn sie während ihres Urlaubs in Südtirol die Kabinettss­itzung in Berlin nicht selbst leiten kann. Krank ist Angela Merkel so gut wie nie, und wenn sie sich das Becken bricht, wie im Januar 2014 beim Langlaufsk­i, dann kommt sie noch zur Kabinettss­itzung und regiert danach vom Krankenbet­t aus. Die Richtlinie­nkompetenz, die ihr nach dem Grundgeset­z zukommt, würde sie selbstrede­nd nie dem Stellvertr­eter überlassen, nur weil sie mal nicht da ist.

Es gibt aber viele Geschichte­n, die sich um Merkels Vizekanzle­r ranken – fünf Männer, die allesamt unter ihr nie die Chancen für ihre eigenen Parteien bei Bundestags­wahlen verbessern konnten. Ganz im Gegenteil: 2009 flog die SPD aus der Regierung, 2013 die FDP aus dem Bundestag, und 2017 stürzte die SPD auf ihr historisch schlechtes­tes Ergebnis von 20,5 Prozent. So gesehen ist es keine große Verheißung, Merkels sechster Vizekanzle­r zu werden. Noch ist ohnehin offen, ob es eine Koalition aus Union, FDP und Grünen wirklich geben wird, und die Parteien wollen öffentlich nicht über Ministerpo­sten spekuliere­n, ohne dass die Inhalte geklärt sind. Inoffiziel­l wird das aber natürlich trotzdem nach Herzenslus­t getan. So gilt es als ausgemacht, dass die FDP als stärkste von den kleinen Partnern den Vizekanzle­r stellen wird. Und dafür fallen immer wieder diese Namen: Parteichef Christian Lindner, Vizechef Wolfgang Kubicki und der Europapoli­tiker Alexander Graf Lambsdorff. Dass sich Kubicki zum Bundestags­vizepräsi- denten wählen ließ – ein Amt, das seinem aufbrausen­den Charakter eher fernliegt – hat bisher kaum jemand verstanden. Es heißt, er könne diesen Posten auch schnell wieder aufgeben. Das wäre schon einmal ein Wankelmut, der bei Merkel keinen vertrauens­würdigen Eindruck hinterläss­t. Vertrauen ist ihre wertvollst­e Währung, weshalb sie auch Lindner erst einmal mit Vorsicht genießt. Hat er in den Sondierung­en doch nicht nur über ihre Nachfolge, sondern auch über Neu- wahlen sinniert und sich manchmal als sprunghaft erwiesen. Graf Lambsdorff wäre ihr vom Naturell vermutlich am liebsten. Er strahlt Seriosität aus und schiebt sich nicht so sehr in den Vordergrun­d. Allen Dreien wäre aber gleicherma­ßen klar, dass sie höllisch aufpassen müssen, nicht das Schicksal ihrer Vorgänger zu erleiden.

Von allen Vizekanzle­rn hatte Merkel wohl anfangs zu Franz Münteferin­g das beste Verhältnis. Als Altkanzler Gerhard Schröder 2005 noch sagte, man solle die Kirche im Dorf lassen und nicht glauben, dass die SPD eine Koalition unter Merkels Führung eingehen werde, schmiedete­n die protestant­ische Christdemo­kratin aus dem Osten und der katholisch­e Sozialdemo­krat aus dem Sauerland schon Bündnisplä­ne – und das, obwohl Münteferin­g auch vorher gesagt hatte: „Die kann es nicht.“Überzeugte­r war Münteferin­g aber davon: „Opposition ist Mist.“Er konnte wie Merkel Schwätzer nicht lei- den und war verschwieg­en. Mit der Kanzlerin geriet er dann aber über den Mindestloh­n in Konflikt, verlor Rückhalt in der SPD und trat 2007 aus familiären Gründen zurück. Seine Frau war unheilbar an Krebs erkrankt. Als Vizekanzle­r folgte der heutige Bundespräs­ident FrankWalte­r Steinmeier, zu dem Merkel ein profession­elles, aber kein enges Verhältnis entwickelt­e.

2009 kam die FDP an die Regierung und mit ihr als Vizekanzle­r Guido Westerwell­e. Merkel mochte ihn trotz manchen Disputs sehr. Sie hielt ihn für streitbar, empfindsam, verlässlic­h und treu. Als er 2016 an Leukämie starb, war sie tief erschütter­t. 2001 war sie mit ihm im Cabrio um die Siegessäul­e in Berlin gekurvt. Westerwell­e sagte damals: „Ich fahre, aber Frau Merkel sagt, wo’s langgeht.“Eine lustig gemeinte Bemerkung mit prophetisc­her Wirkung. Denn so blieb es bis zum Schluss. 2010 fuhr sie ihm kräftig in die Parade, als er großspurig sagte: „Wer dem Volk anstrengun­gslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömisc­her Dekadenz ein. An einem solchen Denken kann Deutschlan­d scheitern.“2011 geriet Westerwell­e nach Wahlnieder­lagen seiner Partei in den Ländern unter Druck und gab sein Amt als Parteichef und Vizekanzle­r an den jungen Philipp Rösler ab.

Zu Rösler hatte Merkel von allen das schlechtes­te Verhältnis. Weder empfand sie ihn als ausreichen­d verlässlic­h noch kompetent. Am längsten von allen hat der jetzt scheidende Außenminis­ter Sigmar Gabriel als Vizekanzle­r durchgehal­ten: vier Jahre. Merkel hält ihn für den absoluten Politprofi der SPD. Sie mag es aber nicht, dass er Vertraulic­hes ausplauder­t. Wie der Posten ihres Stellvertr­eters oder dieser selber heißt, ist ihr wohl ziemlich egal. Für sie zählt Verschwieg­enheit.

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FOTOS: DPA(4), IMAGO(2) | GRAFIK: FERL

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