NRW soll Polizisten kennzeichnen
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte rät, Beamte im Einsatz mit Nummern zu versehen, damit sie identifizierbar sind. Dabei hat die Landesregierung die Kennzeichnungspflicht in NRW gerade abgeschafft.
DÜSSELDORF Es war eines der zentralen Wahlversprechen der schwarz-gelben Landesregierung. Die Kennzeichnungspflicht für Polizisten, die Rot-Grün gerade erst eingeführt hatte, sollte so schnell wie möglich wieder abgeschafft werden. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hielt Wort: Mit den Stimmen von CDU, FDP und AfD stimmte der Düsseldorfer Landtag Mitte Oktober für eine Änderung des Polizeigesetzes. Die Nummern, anhand derer Polizisten zu identifizieren sein sollten, sind damit wieder Geschichte. Als „unnötig und überflüssig“hatte Reul die Kennzeichnung stets bezeichnet. Sie stelle die Polizei unter Generalverdacht.
Doch die Rückabwicklung steht womöglich im Widerspruch zu einem Urteil, das der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg Ende vergangener Woche fällte. Darin legen die Richter eine solche Kennzeichnungspflicht nahe: Wenn nationale Behörden maskierte Polizeibeamte einsetzten, sollten diese Beamten verpflichtet sein, wahrnehmbar unterscheidbare Kennzeichnungen wie eine Nummer zu tragen. Wenn Polizisten keine solchen Codes trügen, seien sie für Opfer und Augenzeugen nicht identifizierbar. Das könne praktisch zur Straffreiheit führen, heißt es in dem Richterspruch weiter, der für NRW zwar nicht rechtlich bindend ist, aber eine neue Diskussion auslösen könnte.
Die Landesregierung sah gestern die Abschaffung der Kennzeich- nungspflicht dennoch bisher nicht infrage gestellt. „Sobald die Entscheidungsgründe aus Straßburg vorliegen, werden wir diese selbstverständlich sorgfältig prüfen“, sagte ein Sprecher des Innenministeriums. Die Polizisten in NRW trügen das Kennzeichen ihrer jeweiligen Einheit und seien dadurch erkennbar.
In der EU ist NRW mit dieser Politik in der Minderheit: In den meisten Ländern der Europäischen Union gibt es nach Angaben des Mar- burger Strafrechtsprofessors Jens Puschke eine individuelle Kennzeichnungspflicht. Und auch etwa die Hälfte der deutschen Bundesländer geht demzufolge mit der Empfehlung der Straßburger Richter konform.
„Effektive Kontrolle und effektiver Rechtsschutz setzen die Möglichkeit voraus, handelnde Personen zu identifizieren“, schrieb Rechtswissenschaftler Puschke in einem Ende August erschienen Aufsatz. Polizeigewerkschafter führen an, dass die Kennzeichnung die Persönlichkeitsrechte der Polizisten beschneide. Puschke hingegen bewertet das Allgemeininteresse an der Kontrollierbarkeit staatlichen Handelns höher.
Anlass für das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte war die Klage zweier Fußballfans. Die beiden Männer waren bei einem Fußballspiel zwischen dem FC Bayern und 1860 München im Dezember 2007 in einen PolizeiSondereinsatz geraten. Dabei sei die Polizei völlig grundlos mit Knüppeln und Pfefferspray gegen sie vorgegangen, hatten die Kläger vorgebracht. Die Polizisten konnten aber nicht identifiziert werden, weil sie keine Nummern oder ähnliches hatten und Schutzhelme mit Visier trugen. Die Staatsanwaltschaft stellte ihre Ermittlungen ein, eben weil sich die Polizisten nicht identifizieren ließen.
In Deutschland waren die beiden Männer mit ihrer Klage vor zwei Gerichten gescheitert. Eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht wurde nicht zugelassen. Daraufhin hatten sie sich an den Straßburger Gerichtshof gewandt.
Scharf rügten die Richter die Ermittlungsarbeit in Bayern: Der Fall hätte von unabhängiger Seite untersucht werden müssen, nicht von Polizistenkollegen, heißt es in dem Urteil. Am Ende erhielten die Kläger 2000 Euro Schadenersatz.