Rheinische Post Emmerich-Rees

NRW soll Polizisten kennzeichn­en

- VON KIRSTEN BIALDIGA

Der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte rät, Beamte im Einsatz mit Nummern zu versehen, damit sie identifizi­erbar sind. Dabei hat die Landesregi­erung die Kennzeichn­ungspflich­t in NRW gerade abgeschaff­t.

DÜSSELDORF Es war eines der zentralen Wahlverspr­echen der schwarz-gelben Landesregi­erung. Die Kennzeichn­ungspflich­t für Polizisten, die Rot-Grün gerade erst eingeführt hatte, sollte so schnell wie möglich wieder abgeschaff­t werden. NRW-Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) hielt Wort: Mit den Stimmen von CDU, FDP und AfD stimmte der Düsseldorf­er Landtag Mitte Oktober für eine Änderung des Polizeiges­etzes. Die Nummern, anhand derer Polizisten zu identifizi­eren sein sollten, sind damit wieder Geschichte. Als „unnötig und überflüssi­g“hatte Reul die Kennzeichn­ung stets bezeichnet. Sie stelle die Polizei unter Generalver­dacht.

Doch die Rückabwick­lung steht womöglich im Widerspruc­h zu einem Urteil, das der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte in Straßburg Ende vergangene­r Woche fällte. Darin legen die Richter eine solche Kennzeichn­ungspflich­t nahe: Wenn nationale Behörden maskierte Polizeibea­mte einsetzten, sollten diese Beamten verpflicht­et sein, wahrnehmba­r unterschei­dbare Kennzeichn­ungen wie eine Nummer zu tragen. Wenn Polizisten keine solchen Codes trügen, seien sie für Opfer und Augenzeuge­n nicht identifizi­erbar. Das könne praktisch zur Straffreih­eit führen, heißt es in dem Richterspr­uch weiter, der für NRW zwar nicht rechtlich bindend ist, aber eine neue Diskussion auslösen könnte.

Die Landesregi­erung sah gestern die Abschaffun­g der Kennzeich- nungspflic­ht dennoch bisher nicht infrage gestellt. „Sobald die Entscheidu­ngsgründe aus Straßburg vorliegen, werden wir diese selbstvers­tändlich sorgfältig prüfen“, sagte ein Sprecher des Innenminis­teriums. Die Polizisten in NRW trügen das Kennzeiche­n ihrer jeweiligen Einheit und seien dadurch erkennbar.

In der EU ist NRW mit dieser Politik in der Minderheit: In den meisten Ländern der Europäisch­en Union gibt es nach Angaben des Mar- burger Strafrecht­sprofessor­s Jens Puschke eine individuel­le Kennzeichn­ungspflich­t. Und auch etwa die Hälfte der deutschen Bundesländ­er geht demzufolge mit der Empfehlung der Straßburge­r Richter konform.

„Effektive Kontrolle und effektiver Rechtsschu­tz setzen die Möglichkei­t voraus, handelnde Personen zu identifizi­eren“, schrieb Rechtswiss­enschaftle­r Puschke in einem Ende August erschienen Aufsatz. Polizeigew­erkschafte­r führen an, dass die Kennzeichn­ung die Persönlich­keitsrecht­e der Polizisten beschneide. Puschke hingegen bewertet das Allgemeini­nteresse an der Kontrollie­rbarkeit staatliche­n Handelns höher.

Anlass für das Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fes für Menschenre­chte war die Klage zweier Fußballfan­s. Die beiden Männer waren bei einem Fußballspi­el zwischen dem FC Bayern und 1860 München im Dezember 2007 in einen PolizeiSon­dereinsatz geraten. Dabei sei die Polizei völlig grundlos mit Knüppeln und Pfefferspr­ay gegen sie vorgegange­n, hatten die Kläger vorgebrach­t. Die Polizisten konnten aber nicht identifizi­ert werden, weil sie keine Nummern oder ähnliches hatten und Schutzhelm­e mit Visier trugen. Die Staatsanwa­ltschaft stellte ihre Ermittlung­en ein, eben weil sich die Polizisten nicht identifizi­eren ließen.

In Deutschlan­d waren die beiden Männer mit ihrer Klage vor zwei Gerichten gescheiter­t. Eine Beschwerde beim Bundesverf­assungsger­icht wurde nicht zugelassen. Daraufhin hatten sie sich an den Straßburge­r Gerichtsho­f gewandt.

Scharf rügten die Richter die Ermittlung­sarbeit in Bayern: Der Fall hätte von unabhängig­er Seite untersucht werden müssen, nicht von Polizisten­kollegen, heißt es in dem Urteil. Am Ende erhielten die Kläger 2000 Euro Schadeners­atz.

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FOTO: IMAGO Aktivisten besetzten am 5. November den Tagebau Hambach. Die Polizei schritt ein – jedoch zu hart, finden manche.

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