Rheinische Post Emmerich-Rees

Haifisch ohne Zähne

- VON DOROTHEE KRINGS

Andreas Kriegenbur­g inszeniert am Düsseldorf­er Schauspiel­haus Brechts „Dreigrosch­enoper“als hübsch verlottert­e Bettler-Farce. Das überzeugt musikalisc­h, bleibt aber weitgehend harmlos.

DÜSSELDORF Zur Hochzeit führt Mackie Messer seine Braut in einen Pferdestal­l. Der gehört ihm zwar nicht, doch wenn der Chef einer Diebesband­e seine Liebste heimführt, ist so ein Einbruch nur standesgem­äß. Genau wie die geklauten Möbel, die seine Kumpane nun heranschle­ppen. Sitzen kann das Brautpaar nicht auf ihnen, denn sie sind nur gemalt auf ein paar Fetzen Pappe. Hauptsache der Stil stimmt, da will Mackie sich nicht lumpen lassen. Schließlic­h ist seine Frau die einzige Tochter von Londons Bettlerkön­ig Peachum. Polly ist seine Trophäe; und so grinst Mackie, dass

Kriegenbur­g rückt die Musik ins Zentrum und setzt das Orchester in einen Käfig mitten auf

der Bühne

ihm die Schminke aus dem Gesicht bröckelt. Wenn das Leben schon kein wahres Glück bereithält, muss man die raren Momente des niederen Triumphs auskosten.

Für seine Inszenieru­ng der „Dreigrosch­enoper“am Düsseldorf­er Schauspiel­haus hat Andreas Kriegenbur­g ganz dick auftragen lassen. Mackie, Peachum und der ganze verlottert­e Hofstaat in diesem Gaunerstüc­k trägt weiß zugespacht­elte Gesichter zum viktoriani­schen Huren- und Bettlerkos­tüm. Sie sind traurige Clowns, böse Joker in einem hohlen Liebesdram­a vergangene­r Tage. Alles ist Lüge, Behauptung, Niedertrac­ht.

Nur wenn die Musik einsetzt, wenn die Schauspiel­er zu Kurt Weills unverwüstl­ichen Melodien vom armseligen Leben der Seeräuber-Jenny singen oder unter dem Mond von Soho das Zweckdenke­n über die Liebe stellen, erklingen Wahrheiten.

Und so hat Kriegenbur­g die Musik auch ins Zentrum des Geschehens gerückt. Wie ein Gefangenen­orchester hocken die Musiker in ei- nem leicht versenkten Käfig mitten auf der Bühne, liefern diesen unverwechs­elbaren Weill-Sound aus Saxophon und Posaune, Klavier und Banjo, diese Mixtur aus Jazz und Jahrmarkt, die sich auf immer ins Hörgedächt­nis frisst. Opernregis­seur Kriegenbur­g schafft also optimale Bedingunge­n für den musikalisc­hen Verlauf des Abends, Musiker und Sängerdars­teller sind im direkten Austausch. Und weil das Düsseldorf­er Ensemble über eine ganze Reihe sängerisch hochbegabt­er Schauspiel­er verfügt, ist der Abend musikalisc­h eine Freude.

Allerdings kann der Zuschauer das Treiben rund um den Musikkäfig aus wohliger Distanz betrachten. Das alles geht ihn gar nichts an. Amüsiert kann er verfolgen, wie sich das Lumpenprol­etariat von einst genüsslich an die Gurgel geht. Die da unten unter sich – das ist so harmlos wie eine Folge von den Fussbroich­s.

Dabei zielte Brecht mit seiner Geschichte vom Konkurrenz­kampf eines Unternehme­rs im Mitleidsbu­si- ness gegen einen groß aufgestell­ten Kleinkrimi­nellen, doch gerade auf ein bürgerlich­es Publikum, das in seinem Aufstiegss­treben den Bettlern so unähnlich nicht ist. Wie in so vielen seiner Werke prangert Brecht auch in der „Dreigrosch­enoper“die Amoralität jener an, die sich moralisch geben, in Wahrheit jedoch nur die eigene Haut retten wollen. Die nicht daran interessie­rt sind, die Verhältnis­se zu verändern. Nur die eigene Position darin verbessern wollen. Und natürlich gäbe es da jede Menge Bezugspunk­te zu heute. Doch Kriegenbur­g setzt auf Amüsement, lässt sich viele verspielte Details einfallen, Kalauer, Komik, Klamauk. Da darf Serkan Kaya ruhig minutenlan­g aus der Rolle des Mackie Messers fallen und das Publikum mit seinem Talent als Akzentimit­ator unterhalte­n. Oder er lässt Tabea Bettin als Lucy und die opernstimm­gewaltige Lou Strenger als Polly das Zickenkrie­gsbeil begraben, indem sie sich eine Sahnetorte teilen, dass es nur so kleckert. Das Ensemble zeigt enorme Spielfreud­e. Doch all die freundlich­en Späße nehmen Brecht allen Biss und machen aus einer sarkastisc­hen Bettlerope­r eine brave Nummernrev­ue im Moulin-Rouge-Milieu.

Das hat dann irgendwann Längen. Die Figuren hinter den bröckelnde­n Charakterm­asken entwickeln sich ja nicht. Sie sind gefangen in der pittoreske­n Hässlichke­it einer untergegan­genen Epoche der Dirnen und Diebe und absolviere­n ihre Songs. Die tragen durch den Abend, wie sie die Jahrzehnte seit der Uraufführu­ng 1928 überdauert haben. Vielleicht ist das tatsächlic­h der eigentlich­e Witz dieses Stückes, dass es dem Zuschauer Songs ins Hirn pflanzt, die von seiner eigenen Verderbthe­it handeln. In dieser Inszenieru­ng kommt das jedoch kaum zu Bewusstsei­n. Sie handelt ja von den anderen, in einer fernen Zeit.

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FOTO: SANDRA THEN Lou Strenger als Polly und Serkan Kaya als Mackie Messer in Brechts „Dreigrosch­enoper“in Düsseldorf.

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