Rheinische Post Emmerich-Rees

Gustav Mahler und seine riesenhaft­e 3. Symphonie

- VON WOLFRAM GOERTZ

DÜSSELDORF Zu den Eigenschaf­ten mancher Kunstwerke zählt es, dass sie fortwähren­d mit größter Leidenscha­ft zu Ende gehen, aber nicht aufhören. Auch das Finale von Gustav Mahlers riesenhaft­er 3. Symphonie d-Moll ist ein Akt der Selbstbera­uschung durch Aufschub. Es gibt mehrere Stellen, die der Hörer als die erlösenden letzten Takte zu vernehmen meint – doch Mahler lässt dann das Seil locker, steigt vom Gipfelkreu­z zurück in die Wand, um erneut das Finale des Finales anzusteuer­n. Eine Sisyphus-Anstrengun­g scheint das für die Musik nicht, vielmehr spürt man die Erregung des Komponiste­n, wenn er die Entladung der Lust hinauszöge­rt. Und da dieser Schlusssat­z „Was uns die Liebe sagt“überschrie­ben ist, mögen freie Geister an die raffiniert­e Kunst der Verlängeru­ng leiblicher Wonnen denken.

An diese Aspekte fühlte man sich jetzt in der Tonhalle erinnert, wo Ádam Fischer die Düsseldorf­er Symphonike­r in diesem Finale auf direktem Weg gen Ende führte. Der Maestro wählte nämlich ein strömendes Tempo, bei dem sich nichts staute und man umso unvermitte­lter zu jenen Wendestell­en gelangte. Dies war eine einprägsam­e Version dieses Finales, bei dem sich Dirigenten oft einer Langsamkei­t befleißige­n, als drohe ihnen anschließe­nd die Versetzung in den Ruhestand.

Der Mahler-Zyklus der Symphonike­r wird auf CD gebannt, die Siebte und die Vierte liegen bereits vor, stets mischt der Tonmeister das Beste aus den drei Konzerten am Freitag, Sonntag und Montag zusammen. Vom ersten Abend in der Tonhalle wird er gesagt haben: „Da können wir schon viel Schönes nehmen.“Es gab famose Holzbläser, eine meisterlic­he Solo-Posaune, hingebungs­volle Streicher. Großes Georgel vom Rang: das Altsolo von Anna Larsson. Feines Bimm-Bamm vom Podium: der Städtische Musikverei­n und der Clara-SchumannKi­nderchor.

Fischers Mahler zeigt zugleich Mut zur Hässlichke­it, Rauheit und Unschönhei­t (auch zur unfreiwill­igen). Da wird nicht poliert, sondern wahrhaftig musiziert, dazu zählen auch Mahlers Fratzen. Ein Zuhörer meinte sich durch ein direkt nach dem Schlussakk­ord in den Saal gebelltes Bravo Unsterblic­hkeit auf CD gesichert zu haben. Auch diese Stelle wird der Tonmeister digital markieren und löschen, per Knopfdruck auf „Delete“. Ein guter Knopf.

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