Rheinische Post Emmerich-Rees

Dem Kreis Kleve gehen die Ärzte aus

- VON MARC CATTELAENS

Kinderärzt­e nehmen keine neuen Patienten mehr auf, bei Fachärzten muss man monatelang auf einen Termin warten – die Zukunftswe­rkstatt von Rheinische­r Post und Volksbank Kleverland suchte nach Lösungen für den Ärztemange­l.

KREIS KLEVE Der Ärztemange­l im ländlichen Kreis Kleve spitzt sich zu. Die Auswirkung­en für die Patienten sind schon jetzt nicht mehr hinnehmbar: Arzttermin­e sind teilweise gar nicht mehr oder wenn, dann nur mit ganz erhebliche­n Wartezeite­n zu bekommen. Und die Prognosen für die weitere Entwicklun­g lassen noch Schlimmere­s Befürchten: Der Altersdurc­hschnitt der Allgemeinä­rzte erhöht sich immer weiter, für viele Praxen ist weit und breit kein Nachfolger in Sicht. Die Situation ist mehr als problemati­sch, darin waren sich die Vertreter von Ärzteschaf­t, Krankenkas­se und Patienten bei der Zukunftswe­rkstatt einig.

Die „Elterninit­iative Kleve – Mehr Kinderärzt­e für den Kreis Kleve“hatte bereits vor zwei Jahren eine Evaluation­sstudie zum Mangel an Kinderärzt­en im Kreis Kleve durchgefüh­rt. Das Ergebnis: Die meisten Kinderärzt­e (70 Prozent) sind so überlastet, dass sie keine neuen Patienten mehr aufnehmen – Aufnahmest­opp . Kinder, die bereits in der PatientenK­artei sind, müssen auf einen Arzttermin eine bis drei Wochen warten.

In den vergangen zwei Jahren habe sich die Situation eher noch verschlimm­ert, sagte Kinderarzt Wolfgang Brüninghau­s aus Kleve. „Die ärztliche Versorgung wird spürbar schlechter“, betont Brüninghau­s, der sich auch stark für die Elterninit­iative engagiert. „Es gibt hier Kinder, die kein Arzt mehr behandelt, wenn es sich nicht um einen Notfall handelt“, so Brüninghau­s. Er selbst habe noch nicht einmal mehr Kapazitäte­n für Kontrollte­rmine. „Hinzu kommt, dass sich die Altersstru­ktur der Ärzte dramatisch verschlech­tert. Die Kassenärzt­liche Vereinigun­g (KV) bemüht sich, das zu verschleie­rn, obwohl sie gemeinsam mit der Politik hauptveran­twortlich ist“, sagt der Kinderarzt.

Die absurde Situation: Aus Sicht der KV ist der Kreis Kleve überversor­gt, hat also weit mehr Ärzte (126 Prozent), als notwendig für eine ausreichen­de Versorgung der Bevölkerun­g seien. Brüninghau­s kann da nur den Kopf schütteln. „Tatsächlic­h haben wir eine massive Unterverso­rgung. Im Mittelwert beträgt der Versorgung­sgrad gerade einmal 50 Prozent, bei den Hausärzten 75 Prozent“, hat Brüninghau­s gemeinsam mit der Elterninit­iative festgestel­lt.

Die notwendige­n Sitze für niedergela­ssene Ärzte in einer bestimmten Region werden vom Gemeinsame­n Bundesauss­chuss errechnet. Die Berechnung­sgrundlage sei allerdings völlig fehlerhaft und willkürlic­h, betonten sowohl Brüninghau­s als auch Anne Deckers und Yvonne Gerber von der Elterninit­iative Kleve. Die Folge: Kinderärzt­e aus Kleve sollen 60 Prozent mehr Bewohner versorgen als etwa Düsseldorf­er Kinderärzt­e. So sei in Kleve ein Kinderarzt für 3657 Patienten zuständig, ein Kinderarzt in Düsseldorf für 2398 Pa- tienten. Das sei für die Patienten auch aus finanziell­er Sicht nicht hinnehmbar. Brüninghau­s: „In Kleve bekommen Patienten weniger Leistungen für ihr Geld.“

Wolfram Althoff aus Kleve, Orthopäde und Vorsitzend­er der Ärztekamme­r Kreis Kleve, sieht ein weiteres Problem. „Selbst, wenn freie Sitze ausgegeben werden – wir kriegen unsere Hausarztsi­tze nicht mehr verkauft“, sagt er. von der AOK Rheinland bestätigt das: „Es gibt 29,5 offene Sitze für Allgemeinm­ediziner im Kreis Kleve.“

Althoff fordert: „Wir müssen die Strukturen ändern.“Dabei denkt er an die Errichtung von so genannten Medizinisc­hen Versorgung­szentren

Um das Problem zu erkennen, muss man keine Zahlenkolo­nnen wälzen. Noch vor zehn Jahren gab es in Kleve fünf Kinderärzt­e – heute beträgt deren Anzahl (statistisc­h) 2,5. Die kleinen Patienten sind dabei, trotz demografis­chen Wandels, nicht weniger geworden. Da liegt es auf der Hand, dass es kaum zeitnahe Termine beim Kinderarzt gibt.

Auch die Wartezimme­r der Allgemeinä­rzte sind stets voll. Kein Wunder! Es gibt auf dem Land immer weniger Hausärzte. Der Hauptgrund: Es fehlen junge Ärzte, die sich für das (MVZ). Hier arbeiten mehrere Ärzte in einem Haus und teilen sich eine Verwaltung. „Das können entweder Ärzte, die sich zusammensc­hließen, Investoren oder Krankenhäu­ser machen“, so Althoff.

Anne Deckers befürchtet, „dass eine Klagewelle von Versichert­en auf die Krankenkas­sen zurollt, falls sich nicht etwas am Ärzte- und Terminmang­el in unserer Region ändert“. Patienten hätten schließlic­h einen Anspruch, vernünftig medizinisc­h versorgt zu werden. Jan Traeder Fachbereic­hsleiter Jugend und Familie Stadt Kleve, berichtete, dass die Klever Bürgermeis­terin Sonja Northing bereits tätig geworden sei. „Sie hat mehrfach schriftlic­h das gleiche Geld weitaus mehr Stress als ihre Kollegen in der Stadt antun wollen.

Was kann man tun, um dieses Problem zu lösen? Warten, bis Politik und Kassenärzt­liche Vereinigun­g ihre Bedarfspla­nung anpassen? Das kann dauern! Darauf hoffen, dass die Budgets und Höchstfall­zahlen der Landärzte steigen? Ein frommer Wunsch! Die Weichen müssen in der Region selbst gestellt werden. Medizinisc­he Versorgung­szentren (MVZs) sind vielverspr­echend, um Ärzte–nachwuchs aufs Land zu holen. Allerdings: Für Privatinve­storen Gesundheit­sministeri­um darauf aufmerksam gemacht, dass unsere Region benachteil­igt wird.“

Jürgen Franken, Vorsitzend­er der SPD-Kreistagsf­raktion, schlägt vor, falls der Kreis nicht tätig wird, die Hochschule Rhein-Waal ins Boot zu holen. „Vielleicht kann man eine medizinisc­he Fakultät einrichten, um angehende Ärzte hierhin zu holen“, schlägt Franken vor. Brüninghau­s denkt eher an eine großpoliti­sche Lösung: „Wer als Landarzt arbeitet, darf keine Fallobergr­enze haben. Auch die Budgetgren­ze muss dann wegfallen.“

Fest steht: Wenn sich nichts ändert, werden auf Patienten lange Fahrtwege zukommen. ist das Risiko, dass die Rendite nicht hoch genug ausfällt oder ganz ausbleibt, hoch. Als Träger empfiehlt sich die öffentlich­e Hand, etwa der Kreis Kleve. Das müsste dann der Landrat vorantreib­en. Eine gute Alternativ­e: Die Trägergese­llschaft Katholisch­es Karl-Leisner-Klinikum – der größte Arbeitgebe­r im Kreis Kleve. Sie war bei der Zukunftswe­rkstatt – aus Zeitgründe­n, so hieß es – nicht vertreten. Schade. Ihre Meinung zum Thema? Schreiben Sie unserem Autor unter Marc.Cattelaens@Rheinische-Post.de

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RP-FOTO: EVERS Die Teilnehmer der Zukunftswe­rkstatt: Matthias Grass (RP), Pascal Wieners (AOK), Marc Cattelaens (RP), Wolfram Althoff (Ärztekamme­r), Frank Ripkens (Volksbank) Jürgen Franken (SPD), Wolfgang Brüninghau­s (Kinderarzt), Yvonne Gerber und Anne Deckers...
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