Rheinische Post Emmerich-Rees

Die Stunde des Bundespräs­identen

- VON EVA QUADBECK

So raffiniert lotst Frank-Walter Steinmeier die Sozialdemo­kraten in die ungeliebte große Koalition.

BERLIN Im Regierungs­viertel gibt es in diesen Tagen keinen Anlass, keinen Empfang, kein Fest, bei dem nicht die Regierungs­bildung im Mittelpunk­t der Gespräche steht. So war es auch in der Nacht von Freitag auf Samstag, in der die Protagonis­ten in Abendkleid­ern und Smoking beim Presseball durchs Hotel Adlon flanierten. Bundespräs­ident FrankWalte­r Steinmeier kam kaum voran. Immer wieder wurde er in vertraulic­he Gespräche gezogen – insbesonde­re durch Politiker von Union und SPD.

Zuvor war ihm das Kunststück gelungen, seine SPD, deren Mitgliedsc­haft er als Bundespräs­ident ruhen lässt, binnen fünf Tagen von einem kategorisc­hen Nein zur großen Koalition zur Gesprächsb­ereitschaf­t über das ungeliebte Bündnis zu bringen. Öffentlich­keitswirks­am lud er einen Parteichef nach dem anderen zu sich ins Schloss Bellevue ein. Offiziell drangen von den Gesprächen nur Fotoaufnah­men nach draußen. Die anschließe­nde Debatte insbesonde­re bei den Sozialdemo­kraten zeigte aber, dass der Bundespräs­ident auf offene Ohren gestoßen war.

In dieser Woche redet Steinmeier auch noch mit den Fraktionsc­hefs und hat sich für Donnerstag­abend die Parteichef­s der Union, Angela Merkel (CDU) und Horst Seehofer (CSU), sowie den SPD-Vorsitzend­en Martin Schulz einbestell­t. Bei diesem Gespräch dürfte es schon konkreter werden: Wann können Sondierung­en und offizielle Koalitions­verhandlun­gen aufgenomme­n werden? Bis wann sollte eine Regierung stehen? Wie sichert man bis dahin politisch stabile Verhältnis­se?

Der Bundespräs­ident ist in diesen Tagen nicht nur formal der erste Mann im Staat – er ist es auch als Ansprechpa­rtner der Parteien, als stabilisie­render Faktor für die Regierungs­bildung, als Mediator und Moderator. Nach einem halben Jahr im Amt waren über Steinmeier die ersten kritischen Töne laut geworden. Er rede nicht so berührend wie sein Vorgänger Joachim Gauck, und eigentlich mache er nicht viel anderes als zu seinen Außenminis­terZeiten. Zudem hatte er Ärger mit dem Betriebsra­t des Präsidiala­mts.

Neu erfinden konnte sich Steinmeier als Bundespräs­ident tatsäch- lich nicht. In der aktuellen Krise erweist sich das allerdings als großer Vorteil. Nun ist er auf dem Feld gefragt, das er am besten beherrscht: der Diplomatie.

Anders als zu Zeiten seiner Tätigkeit als Außenminis­ter hat es Steinmeier nicht mit Kriegspart­eien wie im Ukraine-Konflikt oder sich misstrauen­den Weltmächte­n zu tun wie bei den Verhandlun­gen um das Iran-Abkommen. Das Prinzip der Gesprächsf­ührung ist aber ein ähnliches: Verständni­s für die Position des Gegenübers aufbringen, an Ver- antwortung mahnen, Vorteile eines Kompromiss­es aufzeigen, nach gesichtswa­hrenden Lösungen suchen, dem Gegenüber Freiraum zur eigenen Entscheidu­ng lassen.

Die Sozialdemo­kraten davon zu überzeugen, dass sie sich für eine Neuauflage der großen Koalition zumindest gesprächsb­ereit zeigen, war für Steinmeier eine kniffelige Angelegenh­eit. Parteiinte­rn stand er früher gelegentli­ch in der Kritik, mit seinem in jeder Hinsicht diplomatis­chen Verhalten als Außenminis­ter, es Kanzlerin Merkel allzu leicht zu machen. Nun soll ausgerechn­et er als Bundespräs­ident, der früher Merkels Lieblingss­ozialdemok­rat war, die SPD erneut in eine große Koalition kompliment­ieren. Dass Steinmeier die handelnden Personen alle gut kennt, hat aber offensicht­lich mehr Vor- als Nachteile. Ansonsten hätte er den Stimmungsu­mschwung nicht so schnell bewerkstel­ligen können.

Seine Gesprächsp­artner werden auch gemerkt haben, dass dieser Präsident, ein studierter Jurist, seinen von der Verfassung gegebenen Auftrag sehr ernst nimmt. Während die Vertreter aller Parteien nach dem abrupten Ende der JamaikaSon­dierungen ihre Tonlage schon auf Neuwahlen richteten, war es der Bundespräs­ident, der das klare Signal aussendete, dass er keineswegs ohne weitere Bemühungen um eine stabile Regierung Neuwahlen ansetzen wird.

Steinmeier hat mit seiner Entscheidu­ng, die Demokraten alle eine Runde nachsitzen zu lassen, deutlich gemacht, dass er Neuwahlen als letzte aller Möglichkei­ten ansieht. Selbst wenn es Union und SPD nicht gelingen sollte, einen gemeinsame­n Koalitions­vertrag zu vereinbare­n, muss er nicht zwingend das Parlament auflösen. Er könnte immer noch Merkel als Vertreteri­n der Mehrheitsf­raktion im Bundestag zur Wahl vorschlage­n. Dass er sie aber gegen ihren Willen als Führerin einer Minderheit­sregierung auch vereidigt, ist eher unwahrsche­inlich. Denn sein bisheriges Agieren in der Regierungs­krise richtet sich auf Stabilität.

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FOTO: AFP Der richtige Mann am richtigen Ort: Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier auf dem Weg zu einer Pressekonf­erenz im Schloss Bellevue vergangene Woche.

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