Rheinische Post Emmerich-Rees

Die Welt blickt erstaunt auf Berlin

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Deutschlan­d präsentier­t sich auf internatio­nalem Parkett gerne als Musterknab­e: super Wirtschaft­sdaten, fortschrit­tliche Umweltpoli­tik, stabile Regierung. Da verwundert es nicht, dass der langwierig­e Prozess für eine Regierungs­bildung jenseits unserer Grenzen Erstaunen auslöst. Mehr noch: Das Ausland reagiert mit einer Mischung aus Sorge und Spott auf die Nöte der Deutschen.

Dass die Holländer zuletzt sechs Monate brauchten, um eine neue Regierung zu installier­en, und die Spanier ihre Wähler auch zweimal an die Urnen baten – geschenkt. Im

Mit einer Mischung aus Schadenfre­ude und Sorge schaut das Ausland derzeit auf Berlin.

kleinen Belgien, wo nicht nur viele Parteien, sondern auch zwei nationale Identitäte­n miteinande­r konkurrier­en, gehört die Unregierba­rkeit ohnehin zum Alltag. Aber die Deutschen? Von denen kennt man das nicht.

Ein wenig Häme können sich unsere Nachbarn nicht verkneifen. Ausgerechn­et die Deutschen hat es getroffen, die anderen so gerne Ratschläge erteilen, wie man spart und einen Staatshaus­halt saniert, wie man seinen Arbeitsmar­kt auf Vordermann bringt und mit soliden Tarifabsch­lüssen die Gewerkscha­ften von der Straße hält.

Auch die Kanzlerin bekommt derzeit ihr Fett weg. Ist sie doch dafür berüchtigt, dass sie mit ihrer sensatione­llen Kondition des nächtens alle müde verhandelt und dann ihre Vorstellun­g von Kompromiss­en durchsetzt.

Doch von Brüssel bis zur Elfenbeink­üste und von Washington bis Neu Delhi ist die Sorge größer als die Schadenfre­ude über das Durcheinan­der in Berlin. Zumal in Brüssel zwar der Alltag weiterläuf­t, aber ohne eine Regierung in Europas größter Volkswirts­chaft und des wichtigste­n Nettozahle­rs in den EUHaushalt werden dort keine weitrei- chenden Entscheidu­ngen getroffen. Das ist eben anders, wenn sich Holland oder Belgien ein bisschen Zeit lassen. Angesichts des globalen Erwartungs­drucks auf den so viel zitierten Stabilität­sanker Deutschlan­d ist es gar nicht verwunderl­ich, dass die Parteien durchaus zögern, Regierungs­verantwort­ung zu übernehmen. Denn Deutschlan­d zu regieren, bedeutet eben mehr, als sich über die Verteilung von 45 Milliarden Euro auf Bildung, Digitalisi­erung und Steuersenk­ung zu einigen.

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