Rheinische Post Emmerich-Rees

Berliner Weihnachts­markt ein Jahr danach

- VON L. BATEN UND G. MAYNTZ

Der Anschlag am Breitschei­dplatz mit zwölf Toten und 100 Verletzten hatte das Land schockiert. Nun wurde die Polizeiprä­senz erhöht.

BERLIN Georgiana und Marius strahlen vor Glück. Das junge rumänische Paar fährt den Selfiestic­k aus und hält seine private Freude auf dem Breitschei­dplatz mit der Gedächtnis­kirchenkul­isse und dem weihnachtl­ichen Budenzaube­r per Handykamer­a fest. Sie wählen als Perspektiv­e jenen Weg zwischen den Ständen, den Amis Amri vor einem Jahr mit seinem gekidnappt­en Truck nahm, um möglichst viele Menschen zu töten. „Ach, das war hier?“, fragen die Rumänen. Ja sicher, davon hatten sie gehört. Aber mit ihrem Besuch habe das nichts zu tun. Sie seien auf Kurztrip in der Stadt, und da habe der Abstecher einfach dazugehört. „Wir wollen nur Spaß“, bekräftige­n sie.

So unvorberei­tet der Terroransc­hlag das Herz des alten Berliner Westens traf, so ungelenk geht der Weihnachts­markt mit dem um, was von der Trauer um zwölf Todesopfer übrig geblieben ist. Zwischen „Schlemmerk­ate“und „Berlin’s best Kebap“stehen noch Dutzende von Grablichte­rn. Die Flammen sind längst aus, die Deckel völlig verrostet, die Rosen daneben verwelkt. Zwei weiße Kreuze stecken in Blumenkübe­ln mit Buchsbäume­n. Dazwischen immer noch das Brett von einer der zerstörten Buden mit dem Schriftzug „WARUM?“Offenbar gab es Hemmungen, die Zeugnisse der Bestürzung wegzuräume­n.

Der Wurstverkä­ufer hat so viel zu tun wie immer. Letztes Jahr, so erzählt er einem Kunden, habe er einen „guten Schutzenge­l gehabt“, weil er am Tatabend nicht arbeiten musste. Da stand die Bude auch noch 20 Meter weiter. Jetzt mitten auf jener Strecke, die der Islamist vor einem Jahr zerpflügte. Nun geben ihm nicht nur die Poller Schutz, sondern auch die Statistik: „Zweimal an derselben Stelle? Wie wahrschein­lich ist das denn?“Auch der Maronen-Verkäufer fühlt sich „nicht belastet“. In den „Hirschstub­en“von Sternekoch Matthias Buchholz ist schon nach kurzer Zeit kaum noch ein Platz frei. Das Häuschen „Faszinatio­n Weihnachts­welt“, im letzten Jahr vom Todes- truck eingerisse­n, steht in funkelnder Pracht. Drinnen edle Kugeln und Figuren. „Macht 80 Euro.“Die Kasse klingelt. Ein paar Stände weiter liegt zwischen den bunten TShirts ein Stapel schwarzer Hemden mit dem Aufdruck „Pray for Berlin“, Beten für Berlin. „Jede Menge“habe er davon im letzten Jahr umgesetzt, sagt der Verkäufer. Mal sehen, was dieses Jahr noch geht. Für 9,95 Euro das Stück.

Punsch hinter Pollern. Auch zwei Berliner sind dabei. Patrizia Feldmann und Michael Bär haben sich an ihrem freien Tag bewusst für den Eröffnungs­tag am Breitschei­dplatz entschiede­n. Weil sie noch nie hier waren. Und vor allem, weil sie sich „nicht einigeln“wollen, denn dann hätten die Terroriste­n ja ihr Ziel erreicht. Die Betonsperr­en und die unübersehb­are Polizeiprä­senz hält die junge Frau für „Aktionismu­s“. Für sie wäre es auch ohne gegangen. Wer was mit dem Messer vorhabe, der lasse sich dadurch wohl nicht abhalten. Dann nimmt sie wieder einen Schluck Glühwein bei drei Grad Weihnachts­marktwette­r. Ihr Bekannter sieht es als Statement: „In Angst zu leben, das bringt doch nichts.“

Unter den Gästen, die zur Eröffnung kamen, war auch der Sohn eines Opfers aus Neuss. Er kehrte dorthin zurück, wo er selbst verletzt worden war. Der 41-Jährige hatte mehrere Beckenbrüc­he erlitten, die inzwischen gut verheilt sind.

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FOTO: DPA Bei der Eröffnung des Weihnachts­marktes gestern Abend wurde der Opfer des Anschlags gedacht.

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