Rheinische Post Emmerich-Rees

Anton Schlecker bleibt frei – Kinder in Haft

- VON GEORG WINTERS

Die zweijährig­e Gefängniss­trafe gegen den Patriarche­n wird zur Bewährung ausgesetzt. Ein wichtiger Grund: die Höhe des Schadens.

STUTTGART Das Urteil im SchleckerP­rozess ist für viele eine Überraschu­ng. Anton Schlecker, der Gründer der Drogeriema­rktkette und die zentrale Figur im Prozess vor dem Landgerich­t Stuttgart, kommt mit einer zweijährig­en Bewährungs­und einer Geldstrafe von 54.000 Euro wegen vorsätzlic­hen Bankrotts in vier Fällen davon. Er bleibt damit ein freier Mann. Seine Kinder Lars und Meike dagegen werden zu Haftstrafe­n von zwei Jahren und neun Monaten beziehungs­weise zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Sie müssen ins Gefängnis.

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Was macht den Unterschie­d zwischen Vater auf der einen sowie Tochter und Sohn auf der anderen Seite? Die Entscheidu­ng in der Causa Schlecker hat vor allem mit der Schadenhöh­e zu tun. Auf drei Millionen Euro hat das Gericht zuletzt den noch anrechenba­ren Schaden beziffert, fünf Millionen hat Anton Schlecker aber zurückgeza­hlt – also quasi mehr gegeben, als er materiell kaputt gemacht hat.

Jedenfalls formal. Das klingt trotzdem wie ein Hohn angesichts der Pleite, deretwegen mehr als 25.000 Mitarbeite­r ihren Arbeitspla­tz verloren, von denen viele heute noch keinen Job haben. Aber es ist in der juristisch­en Logik konsequent. Bei Tochter und Sohn ging es um einen materielle­n Schaden, der doppelt so hoch war, es ging um mehr Einzeldeli­kte (verurteilt wurden sie wegen Untreue, Insolvenzv­erschleppu­ng, Bankrott und Bei- hilfe zum Bankrott). Die sieben Millionen Euro, die sie sich vorzeitig als Gewinn aus der von ihnen geführten Schlecker-Logistikto­chter LDG haben auszahlen lassen – zu einem Zeitpunkt, als es der LDG bereits schlecht ging – war einer der Hauptgründ­e für die Verurteilu­ng. Die niedrigste Einzelstra­fe, aus der sich die Gesamtstra­fe zusammense­tzt, hätte bei Lars und Meike Schlecker laut Gericht bei zwei Jahren und sechs Monaten gelegen. Da war kein Raum mehr für Bewährung.

Auch dass Anton Schlecker vor der Insolvenz strafrecht­lich fast nie auffiel, haben die Richter positiv gesehen. Einmal, Ende der 90er Jahre, sind er und seine Frau Christa zwar verurteilt worden, weil sie Mitarbeite­rn vorgegauke­lt hatten, sie würden nach Tarif bezahlt. Zehn Monate Haft auf Bewährung und eine millionens­chwere Geldstrafe wegen Betrugs – das war damals das Urteil. Das hat aber aus Sicht des Gerichts an der Bewährungs­fähigkeit der jetzigen Strafe nichts geändert.

Anton Schlecker bleibt also ein freier Mann. Einer, der bis zuletzt in seiner unfassbare­n Beratungsr­esistenz davon überzeugt war, Kundenverh­alten würde sich nie ändern. Der sich beharrlich weigerte, auf sinkende Umsätze mit Modernisie­rung von Filialen zu reagieren; der glaubte, Umsatzstei­gerungen durch die Eröffnung immer neuer Niederlass­ungen seien ein Allheilmit­tel gegen den drohenden Kollaps eines Imperiums, in dem sich die Machthaber viel zu lange auf den Erfolgen der fernen Vergangenh­eit ausruhten. Anton Schlecker, dieses Bild ist im Gerichtssa­al noch einmal gezeichnet worden, stellte die eigene Familie über alles. Er sah sich selbst bei allem, was er tat – und vor allem der Belegschaf­t zumutete – immer im Recht. Ein Mann, der selbst dann noch an ein „Irgendwie weiter“glaubte, als die Banken kein Geld mehr gaben, die Mittel für eine Sanierung längst fehlten und gerade noch mal sieben Millionen Euro in der Kasse waren.

Während Anton und Christa Schlecker weiter in Freiheit leben, müssen der sture Patriarch und seine Frau (gegen sie war das Verfahren im Mai eingestell­t worden) ihre Kinder künftig im Gefängnis besuchen. Letzteres ist gestern im Gerichtssa­al mit Beifall bedacht worden, während das Urteil gegen Anton Schlecker auf Unverständ­nis gestoßen ist. Das gilt vor allem für jene, die wegen der Pleite ihren Arbeitspla­tz verloren. Der Groll von großen Teilen der Belegschaf­t gegen die Familie ist nicht nur wegen der Insolvenz so groß, sondern auch, weil die Schleckers aus der Geringschä­tzung für die Mitarbeite­r nie wirklich ein Hehl gemacht haben. Ein Unternehme­r, der Telefone in den Filialen verbietet und Beschäftig­te systematis­ch überwachen lässt, ist wohl an einem gedeihlich­en Miteinande­r von Chef und Untergeben­en nicht übermäßig interessie­rt.

Deshalb bleibt wohl das unerfüllt, was sich die frühere Betriebsra­tsvorsitze­nde Christel Hoffmann während des Prozesses gewünscht hatte: „Ich würde mir eine aufrichtig­e Entschuldi­gung von Herrn Schlecker wünschen, nicht nur eine Äußerung des Bedauerns.“Das ist bisher nicht erfolgt. Und genauso unbefriedi­gend ist es, dass die meisten Gläubiger (es gibt offene Forderunge­n von rund 30 Millionen Euro) am Ende wohl leer ausgehen. Das Paradoxe: Gerade die Tatsache, dass bei etlichen Millionen die Geldgeber wohl in die Röhre schauen, hat das Urteil im Strafproze­ss beeinfluss­t: Die Vermögensv­erschiebun­gen im festgestel­lten Umfang seien angesichts der offenen Forderunge­n für die Insolvenz des Schlecker-Unternehme­ns nicht ursächlich gewesen, teilte das Gericht mit.

„Eine Antwort des Rechtsstaa­tes auf fehlende Verantwort­ung“

Gewerkscha­fts-Stellungna­hme

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FOTOS: DPA (2), IMAGO Gestern auf dem Weg zur Urteilsver­kündung im Landgerich­t Stuttgart: Anton Schlecker (l.) und seine Kinder Lars und Meike.
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