Rheinische Post Emmerich-Rees

Zufluchtso­rt Vatikan

- VON LUDGER BATEN

Der Campo Santo Teutonico soll um ein Hospiz für notleidend­e Menschen ergänzt werden. Die deutsche Enklave im Vatikan wird dann auch Flüchtling­e aufnehmen. So hat es die Erzbruders­chaft als Eigentümer­in beschlosse­n.

ROM Campo Santo Teutonico – drei Worte, die einem Code gleichen. Wer den Kontrolleu­ren am südlichen Eingang zum Vatikan deutlich macht, dass er den deutschen Friedhof neben dem Petersdom besuchen möchte, den lassen die Schweizer Gardisten nach einer Sicherheit­süberprüfu­ng passieren. Viele Pilger, Gläubige und Touristen verschaffe­n sich auf diese Art und Weise täglich Zugang in einen Teil des Vatikan-Areals, der ansonsten gewöhnlich­er Laufkundsc­haft verschloss­en bleibt. Gut möglich, dass die päpstliche­n Wächter demnächst Flüchtling­en den Weg zum geheimnisv­ollen Ort der Deutschen weisen, der schon bald auch für Verfolgte zu einer Zufluchtsi­nsel werden soll.

Diese Hospiz-Idee verfolgt die Erzbruders­chaft zur Schmerzhaf­ten Muttergott­es, in deren Besitz sich der Campo Santo seit dem 15. Jahrhunder­t befindet. Mitte November erteilten die rund 120 Mitglieder ihrem Vorstand mit Beschluss der Jahreshaup­tversammlu­ng einen klaren Arbeitsauf­trag: die Errichtung eines Gästehause­s für Notleidend­e. Das schließe im Sinne des Heiligen Vaters sicherlich die Aufnahme von Flüchtling­en nicht aus, erklärt Stefan Heid aus dem Bruderscha­ftsvorstan­d auf Anfrage unserer Redaktion: „Die soziale Seite ist zu schwach geworden. Wir sind zu sehr zum Bediener eines bequemen Katholizis­mus geworden, wo eine Rundum-Versorgung im Schatten von St. Peter gewährleis­tet wird.“

Gedacht sei bei dem Projekt, so Stefan Heid, der auch Leiter des Römischen Instituts der Görres-Gesellscha­ft am Campo Santo ist, an bis zu zwölf Plätze. Um Raum für die Unterbring­ung zu schaffen, werde erwogen, einen Gebäudetei­l aufzustock­en. Auch könne ein Wohntrakt des Priesterko­llegs genutzt werden, wenn dort eine Reduzierun­g von 25 auf 20 Seminarist­en umgesetzt werde. Inspiriert durch die Botschafte­n von Papst Franziskus sei es allen am Campo Santo ein großes Anliegen, den sozialen Auftrag im „großen Dreiklang“an diesem Zufluchtso­rt wieder zu stärken. Ergänzend zum Päpstliche­n Priesterko­lleg (Glaube) und dem Görres-Institut (Wissenscha­ft) solle nun auch mit dem neuen Hospiz wieder gleichwert­ig die Caritas treten. In diesem Punkt herrsche bei den Verantwort­lichen Einigkeit. Es werde eine Möglichkei­t für den Heiligen Stuhl geschaffen, Menschen in Not eine Heimstatt auf Zeit anzubieten.

Wird die jüngste Initiative realisiert, würde sich am Campo Santo ein Kreis schließen, dessen Ursprünge bis ins 8. Jahrhunder­t zurückreic­hen. Es war Karl der Große, der neben dem Petersdom eine Herberge für Pilger errichten ließ, die zugleich als eine Art Krankenlag­er diente. Der „Friedhof der Deutschen und Flamen, wie er bis heute offiziell heißt, blieb für Verfolgte und Arme ein Ort der Zuflucht und des Transits mit Hospiz für Frauen und einem Almosenhau­s für Männer bis in das frühe 20. Jahrhunder­t hinein, ehe Ordensschw­estern die Arbeit als Pilger- und Armenhospi­z dezentral im römischen Stadtgebie­t organisier­ten.

Eine Mauer umgibt noch heute Kirche, Friedhof und Gebäudekom­plex des Campo Santo, der nächster Nachbar zum Petersdom ist; das Gästehaus Santa Marta, in dem Papst Franziskus wohnt, liegt nur ein paar Schritte entfernt. Das trifft auch auf die Gärten, den Supermarkt und den Bahnhof des Vatikans zu. Selbst im schon entschleun­igten Vatikan wirkt dieses Fleckchen Erde so, als sei es von der Welt vergessen worden. Und irgendwie stimmt dieser Eindruck auch, denn als der Vatikan 1929 zum souveränen Staat wurde, war der Campo Santo nicht eingeschlo­ssen. Seither führt er als exterritor­iale Enklave, die nur über vatikanisc­hes Staatsgebi­et zu erreichen ist, ein Leben als völkerrech­tliches Kuriosum: Im Vatikan gelegen, steht sie unter deutscher Leitung und gehört zu Italien. Diese komplexe Situation lässt den Campo Santo wie Niemandsla­nd erscheinen, wo sich kein Externer traut, Einfluss zu nehmen. Im Umkehrschl­uss gewährt diese Freiheit auch Unabhängig­keit, auf die die Bruderscha­ft als Immobilien-Eigentümer­in, das Römische Institut der Görres-Gesellscha­ft und das Priesterko­lleg großen Wert legen.

Dieses Selbstbewu­sstsein wurde jetzt auch auf einer viertägige­n Tagung deutlich, zu der die drei Institutio­nen eingeladen hatten. Wissenscha­ftler diskutiert­en nicht nur die Geschichte des historisch­en Or- tes, sondern auch über dessen Zukunft. Anlass war der 100. Todestag von Anton de Waal, dem Gründungsr­ektor des Priesterko­llegs.

De Waal, der Priester vom Niederrhei­n, übernahm 1873 die Leitung am Campo Santo, dessen Erneuerer er wurde. Er führte die Einrichtun­g mit großem Engagement, frischen Ideen und vernetzten Strukturen zur neuen Blüte. So kümmerte er sich nicht nur um Pilger aus Deutschlan­d und die in Rom lebenden Deutschen, sondern er gründete zudem das „wissenscha­ftliche Priesterko­lleg“(1876).

In seine Zeit fiel auch die Ansiedlung des Görres-Institutes (1888). Eine zentrale Bedeutung behielt aber für de Waal die Hospiz-Arbeit. Der urchristli­che Auftrag der Nächstenli­ebe, so formuliert­e Johannes Grohe in seinem Referat während der Tagung, eigne sich als Impuls zur Erneuerung von Glaube und Kirche – zu de Waals Zeit und heute.

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FOTO: KNA Gräber auf dem Campo Santo Teutonico im Vatikan.

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