Rheinische Post Emmerich-Rees

Vertrauen als Währung der Politik

- VON EVA QUADBECK

CSU-Landwirtsc­haftsminis­ter Christian Schmidt hat bei der Glyphosat-Entscheidu­ng das Vertrauen des Koalitions­partners missbrauch­t. Für eine mögliche Neuauflage der großen Koalition ist das eine schwere Hypothek.

BERLIN Das Wort „Vertrauen“fällt im politische­n Alltag üblicherwe­ise nicht so oft wie in den vergangene­n 24 Stunden. Die Sozialdemo­kraten sehen sich durch die von Landwirtsc­haftsminis­ter Christian Schmidt (CSU) im Alleingang durchgedrü­ckte Entscheidu­ng für einen weiteren Einsatz des Unkrautver­nichtungsm­ittels Glyphosat hintergang­en. Für die Atmosphäre zwischen den beiden großen Parteien ist das Gift.

SPD-Fraktionsc­hefin Andrea Nahles beklagt einen „massiven Vertrauens­bruch“innerhalb der geschäftsf­ührenden Regierung. Von einem „klaren Verstoß gegen die Geschäftso­rdnung der Regierung“und einem „eklatanten Vertrauens­bruch“spricht Umweltmini­sterin Barbara Hendricks (SPD).

Dabei ist Vertrauen genau das, was Union und SPD jetzt eigentlich wieder aufbauen müssen. Nach dem Aus der Jamaika-Sondierung­en stehen die Sozialdemo­kraten vor der schwierige­n Entscheidu­ng, trotz ihrer Absage an eine große Koalition das Bündnis neu aufzulegen. In einer solchen Phase müssen politische Partner eigentlich besonders achtsam miteinande­r umgehen. Das Votum der SPD-Umweltmini­sterin gegen eine Verlängeru­ng der GlyphosatG­enehmigung hätte den Landwirtsc­haftsminis­ter eigentlich dazu bringen müssen, sich auf Brüsseler Parkett in dieser Frage zu enthalten.

Vertrauen ist eine Art Währung in der Politik. Parteifreu­nde, Koalitionä­re, Staatschef­s – sie alle können viel miteinande­r erreichen, wenn sie einander vertrauen. „Alles Reden ist sinnlos, wenn das Vertrauen fehlt“– das Zitat stammt von dem Schriftste­ller Franz Kafka. Die Jamaika-Sondierung­en und ihr Ende hatten mitunter kafkaeske Züge. Vertrauen konnte nur zwischen Union und Grünen aufgebaut werden, was das Misstrauen der Liberalen erst recht beförderte.

Die FDP war noch in Erinnerung an die traumatisc­hen Regierungs­jahre von 2009 bis 2013 in die Sondierung­sgespräche gestartet. Rückblicke­nd werfen die Liberalen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vor, nichts unternomme­n zu haben, das Vertrauen der Liberalen zu stärken. Ob die Kanzlerin tatsächlic­h zu unverbindl­ich zu den Liberalen war oder ob diesen wiederum das Vertrauen in ihre eigene Stärke fehlte, wird man nicht gänzlich aufklären können. Festzuhalt­en bleibt aber, dass, wer einmal mit Merkel und ihrer Union regiert hat, nicht mehr blind vertraut – wie SPD und FDP. Die Grünen legen da deutlich mehr Unbefangen­heit an den Tag.

Vertrauen kann in der Politik Berge versetzen. Die deutsche Einheit beispielsw­eise wäre nicht möglich gewesen, wenn die einstigen Siegermäch­te nicht auf die Stabilität der Demokratie und die friedliche­n Absichten der Deutschen vertraut hätten. Helmut Kohl war ein Meister darin, auf menschlich­er Ebene Vertrauen zu gewinnen – parteiinte­rn und internatio­nal.

Kanzlerin Merkel agiert weniger persönlich. Vertrauen baut sie über ihre Solidität auf. Daher ist der Alleingang des CSU-Ministers für sie besonders ärgerlich. Zudem fußt das Vertrauen in sie auf ihrer Erfolgsbil­anz für Deutschlan­d und in internatio­nalen Verhandlun­gen. Das Jamaika-Aus war für sie äußerst schmerzhaf­t, weil es ihr erstmals in wichtigen Verhandlun­gen nicht gelungen ist, einen Kompromiss zu erzielen.

Ob Politiker einander vertrauen, hängt weniger von ihren Standpunkt­en, sondern vielmehr von der persönlich­en Chemie ab. Ob Vertrauen erhalten bleibt und sich festigt, zeigt sich in der Zusammenar­beit. Ist auf das Wort des anderen Verlass? Spielt er mit offenen Karten? Bleiben vertraulic­he Informatio­nen vertraulic­h?

Gut funktionie­rt haben diese Prinzipien zwischen Merkel und dem früheren SPD-Chef Franz Münteferin­g. Auch mit Frank-Walter Steinmeier kann die Kanzlerin vertrauens­voll zusammenar­beiten. Mit dem noch amtierende­n Vize-Kanzler Sigmar Gabriel ist das schon schwierige­r. Noch als Opposition­sführer 2010 gab Gabriel eine SMS der Kanzlerin dem „Spiegel“zum Abdruck frei. Es ging damals um die Nachfolge für den zurückgetr­etenen Bundespräs­identen Horst Köhler. Für die Kanzlerin war die Veröffentl­ichung der an sich wenig spektakulä­ren Kurznachri­cht ein herber Vertrauens­bruch.

Jede Regierung braucht Achsen des Vertrauens, um effizient arbeiten zu können. In Nordrhein-Westfalen konnte sich die Minderheit­sregierung aus SPD und Grünen von 2010 bis 2012 an der Macht halten und nach Neuwahlen zu einer Mehrheitsr­egierung sortieren. Der Erfolg dieser Jahre gründet vor allem auf dem engen Verhältnis der damaligen Protagonis­tinnen Hannelore Kraft als Ministerpr­äsidentin und Sylvia Löhrmann als ihrer Stellvertr­eterin. Die beiden agierten so vertraulic­h und gut abgestimmt, dass sie in der Öffentlich­keit gar als „Hanni und Nanni“bespöttelt wurden.

Legendär war in der ersten großen Koalition unter Merkel von 2005 bis 2009 die Achse der Fraktionsc­hefs Volker Kauder (CDU) und Peter Struck (SPD). Die Duz-Freunde konnten sich jede Unannehmli­chkeit offen ins Gesicht sagen, ohne dass der jeweils andere beleidigt oder gar rachedurst­ig reagiert hätte. Zu ihrem Vertrauens­verhältnis, das sogar in eine Freundscha­ft mündete, gehörte aber, dass sie Strittiges stets unter vier Augen klärten.

Der Landwirtsc­haftsminis­ter der Union hat mit seinem Ja zu Glyphosat das Vertrauen des noch amtierende­n und möglicherw­eise künftigen Koalitions­partners SPD an einem empfindlic­hen Punkt erschütter­t. Dass nicht jedes Vorhaben aus dem Koalitions­vertrag umgesetzt werden konnte, zeigt, wie brüchig die gemeinsame Grundlage war. Ein klarer Regelbruch aber belegt, dass es keine gemeinsame Grundlage mehr gibt. Es ist nun Aufgabe der Union, diese wieder herzustell­en. Ansonsten muss man mit Sondierung­en erst gar nicht beginnen.

Wer einmal gemeinsam mit Merkel und der Union regiert hat, vertraut

nicht mehr blind

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