Rheinische Post Emmerich-Rees

„Ich bin 42 und habe viel Erfahrung“

- KRISTINA DUNZ FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Der designiert­e sächsische Ministerpr­äsident über sein Alter, den Umgang mit der AfD und den „schlechten Stil“der FDP in Sachen Jamaika.

DRESDEN Wir treffen Michael Kretschmer mittags in einem rustikalen Brauhaus-Restaurant an der Elbe. Er bestellt einen Kräutertee und ein kleines Gericht. Zum Essen ist er vorher noch nicht gekommen. Mitte Dezember soll der CDU-Politiker zum sächsische­n Ministerpr­äsidenten gewählt werden. Herr Kretschmer, in den JamaikaSon­dierungen im Bund ging es immer auch um die Frage, welche „Erzählung“ein solches Bündnis haben könnte. Was wird Ihre Erzählung als Ministerpr­äsident sein? KRETSCHMER Ich möchte neuen Schwung erzeugen. Dazu gehören Investitio­nen in die Zukunft, in Forschung, Bildung und Entwicklun­g und der Zusammenha­lt der Gesellscha­ft. Dieses Land hat alle Möglichkei­ten. Vor allem hat Sachsen Menschen, die sich in 27 Jahren oft durchkämpf­en mussten. Jetzt ist die Situation nicht schwierige­r als 1990. Wir brauchen den Breitbanda­usbau und müssen sächsische­n Mittelstan­d entwickeln, nachdem wir gesehen haben, wie sich Großkonzer­ne verhalten. Wir müssen die Versorgung in den Regionen sichern, die Krankenhäu­ser werden eine stärkere Rolle bekommen. Wir sind uns einig, dass wir Kindergärt­en und Krippen haben. Jetzt müssen wir uns entspreche­nd um die alten Menschen kümmern. Alte Eltern brauchen Hilfe, und ihre Kinder müssen noch arbeiten. Deswegen brauchen wir Strukturen von profession­eller Hilfe, Ehrenamt und Unterstütz­ung aus der Familie. In der CDU sagen manche, Sie seien mit 42 Jahren zu jung für das Amt des Ministerpr­äsidenten. KRETSCHMER Es gibt viele Leute, die sich genau auf diesen Neuanfang freuen und ihn für ein richtiges Signal halten. Ich bin 42, habe keine grauen Haare und viel politische Erfahrung. Ich werde jetzt hart arbei- ten. Ich bin vielleicht noch kein Landesvate­r. Aber ich habe Kraft und Schwung und habe mir auch angeschaut, was ich anders machen will. Man braucht zum Beispiel immer einen soliden Haushalt und darf nie auf Kosten der Zukunft arbeiten. Nicht, was kurzfristi­g vielleicht weniger kostet, ist auf Dauer billiger. Ich war 15 Jahre im Bundestag und bin seit 27 Jahren in der Politik. Sind Sie für eine Minderheit­sregierung der Union im Bund? KRETSCHMER Jeder, der mal in der Kommunalpo­litik war und weiß, wie das in einem Gemeindera­t ist, wo mal so abgestimmt wird und mal so, der ist davon geheilt. Die Freude am Experiment taugt hier auf der Bundeseben­e nichts. Es gibt keine klare Linie in Sachfragen. Vieles hängt von Zufällen ab. Deutschlan­d könnte sich internatio­nal überhaupt nicht mehr engagieren. Wer für eine Minderheit­sregierung plädiert, weiß nicht, wovon er spricht und was er dem Land antun würde. Es gäbe ein Machtvakuu­m, auch innerhalb der Europäisch­en Union. Aus der Sachsen-CDU ist partiell eine Sehnsucht nach einer sächsische­n CSU zu hören: eine Mischung aus CDU und gemäßigten AfD-Anhängern, die ähnlich wie die CSU in Bayern einen eigenen Weg geht. Was ist da dran? KRETSCHMER Es gibt sicher eine Sehnsucht nach einer regionalen Verwurzelu­ng und der Vertretung ureigener sächsische­r Interessen. Darum kümmert sich die CDU. Wir legen uns auch mit der Union im Bund an. Mit der Kanzlerin kann man wunderbar streiten, wenn man gute Argumente hat. Für Sachsen ist wichtig, dass es eine Lebensleis­tungsrente geben wird. Menschen, die gearbeitet haben, müssen mehr haben als jene, die es nicht getan haben. Nach der Wende kam es zu vie- len Brüchen in Biografien, weil etliche Menschen unverschul­det längere Zeit arbeitslos waren. Wichtig ist auch, die starren Vorgaben zur Arbeitszei­t zu lockern. Betriebe werden in die Kriminalit­ät getrieben, weil sie, wie im Hotelgewer­be, Mitarbeite­r länger als zehn Stunden am Tag beschäftig­en müssen. Werden Sie mit der AfD gemeinsame Sache machen? KRETSCHMER Nein. Wie geht das jetzt weiter mit CDU und AfD? KRETSCHMER Wir haben einen großen Anteil von Populisten von links und von rechts und sollten auf sie weder mit riesiger Erregung noch mit Empörung oder mit Ignorieren reagieren. Beides ist falsch. Wir müssen uns auch als Union hinterfrag­en, welche Regelungen, welche Gesetze und Vorstellun­gen wir ha- ben und welche Werkzeuge, um das Land zu gestalten. Und wir müssen uns fragen, ob das noch die richtigen Werkzeuge sind. Was muss die Union ändern? KRETSCHMER Wir haben bei der Bundestags­wahl mit einem besseren Ergebnis gerechnet. Jetzt müsste die Union das schlechte Abschneide­n aufarbeite­n. Aber das schafft sie im Moment nicht. Wir sind damit beschäftig­t, diesem Land eine Regierung zu geben. Wichtig ist Bewegung in der Flüchtling­spolitik, der Europapoli­tik und der inneren Sicherheit. Wir müssen deutlich sagen, dass wir mehr Rückführun­gsabkommen mit den Herkunftss­taaten brauchen, als wir sie bisher haben. Polizei und Justiz müssen nötige Abschiebun­gen konsequent durchsetze­n können. Und wir müssen begrenzen. Da brauchen wir doch keine Wortklaube­rei zu betreiben. Davon abgesehen können wir mit der gleichen Summe, mit der wir einen Flüchtling in Deutschlan­d unterstütz­en, zehn bis zwanzig in den Herkunftsl­ändern versorgen. Auch das ist solidarisc­h. Was bleibt den Bürgern von den gescheiter­ten Jamaika-Verhandlun­gen in Erinnerung? KRETSCHMER Die Lehre aus der Geschichte ist doch, dass demokratis­che Parteien koalitions­fähig sein müssen. Das haben wir in den letzten acht Wochen nicht hinbekomme­n, und das hat der Demokratie und dem Ansehen der Parteien geschadet. Bis hin zum Gemeindera­t schauen sich die Menschen das genau an. Sie überprüfen, ob andere in einer schwierige­n Situation die Sache in den Griff bekommen so wie etwa Angela Merkel und Peer Steinbrück in der Schuldenkr­ise, als sie den Menschen zusicherte­n: Die Ein- lagen sind sicher. Oder ob Politiker, die man aus dem Fernsehen kennt, nach vier Wochen hinschmeiß­en und sagen, sie wollen nichts damit zu tun haben. Welchen Anteil hat der Wunschpart­ner der Union, die FDP? KRETSCHMER Einen großen. Das sieht man beim Thema Solidaritä­tszuschlag. Warum musste die FDP auf den hundertpro­zentigen Abbau in dieser Legislatur­periode bestehen. Warum reichten nicht 50 Prozent? Es ging doch darum, Bürger und Unternehme­n zu entlasten. Mit der Reduzierun­g auf die Hälfte hätten zwei Drittel aller Deutschen überhaupt keinen Soli mehr bezahlen müssen. Die FDP hat der Demokratie keinen guten Dienst erwiesen. Das wird vielen in Erinnerung bleiben. Das war wirklich schlechter Stil.

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