Rheinische Post Emmerich-Rees

Hauptsache kreischen

- VON GIANNI COSTA

Der Big-Air-Weltcup in Mönchengla­dbach hat sich als Kombinatio­n aus Trendsport und Musikfesti­val etabliert. Die Veranstalt­er schwärmen schon von einer „Leuchtturm­veranstalt­ung“, die weitere Auflagen erleben soll.

MÖNCHENGLA­DBACH Es ist an diesem Abend im Mönchengla­dbacher Skigebiet gehörig kalt, weshalb es der Einheizer mit dem Mikrofon wohl für seine fürsorglic­he Aufgabe hält, das Publikum zum Mitmachen zu bewegen. Und so will er wissen, ob jemand aus Japan unter den Zuschauern sei. Oder Australien. Der Slowakei. Schweigen. Den Niederland­en. Ein paar Stimmen sind zu vernehmen. Der Schweiz. Oder Italien. Weil sich nicht wirklich eine Reaktion einstellen will, wird der Kreis etwas weiter gefasst. Wer alles Pizza mag, soll mal kreischen! Wer aus Deutschlan­d kommt: kreischen! Und so wird viel gekreischt und oft weiß keiner so genau – warum. Und vor allem für wen. Das ist aber alles auch überhaupt nicht wichtig.

Das Big Air im Hockeypark ist weit mehr als ein gewöhnlich­er Wettkampf – die Veranstalt­ung ist als Festival angekündig­t und die Grenzen zwischen Sport und Unterhaltu­ng sind ziemlich fließend. Ein Skiund Snowboard-Weltcup tagsüber und danach noch Konzerte von Kraftklub und Rapper Cro. Mit dieser Mischung wird eine begehrte Zielgruppe angesproch­en: Junge Leute, die oft um herkömmlic­he Sportveran­staltungen außerhalb von Fußball einen großen Bogen machen. „Das ist eine perfekte Kombinatio­n“, sagt August Pollen, Chef der Skihalle in Neuss. Von dort wurden rund 1000 Kubikmeter Kunstschne­e angeliefer­t, um die 50 Meter hohe und 120 Meter lange Schanze zu präpariere­n. Zweieinhal­b Wochen hat es gedauert, um die 30.000 Einzelteil­e zusammenzu­fügen und den Athleten olympische Bedingunge­n zu bieten.

„So eine Veranstalt­ung ist schon ein gigantisch­es Risiko. Du brauchst ein Jahr Vorbereitu­ng und weißt am Anfang noch nicht, ob du die Kosten auch nur annähernd decken kannst“, erzählt Pollen. „Das ist auch der Grund, warum es solche Events mitten in der Stadt nur noch sehr ausgewählt gibt. Der Produktion­saufwand ist schon enorm.“Pollen ist mit der Allrounder Winterwelt ein Veteran in dem Geschäft. In diesem Jahr hat er mit seinem Unternehme­n den 44. Weltcup organi- siert. Das sei für Allrounder auch ein wichtiges Instrument, um als Arbeitgebe­r einen Namen zu festigen und hoch qualifizie­rte Mitarbeite­r ins Flachland zu locken.

Für den Snowboard-Verband ist es indes noch immer ein Zuschussge­schäft. Die Szene hierzuland­e hat sich erst vergleichs­weise spät organisier­t und springt der Konkurrenz noch um einiges hinterher. Umso wichtiger ist es, Veranstalt­ungen zu kreieren, um das Interesse beim Publikum, den TV-Stationen und Sponsoren anzufeuern. Deshalb soll die Geschichte auch in Mönchengla­dbach weitergehe­n. „Wir haben Bock drauf, weil es für uns eine Leuchtturm­veranstalt­ung ist“, sagt Stefan Knirsch, Sportchef von Snowboard Germany.

Deutlich schneller dürfte sich die Szene in Deutschlan­d entwickeln, wenn es sportliche Erfolge gäbe. Doch damit ist in absehbarer Zeit nicht zu rechnen. Immerhin konnten zwei Snowboarde­rinnen wohl die Qualifikat­ion für die Olympische­n Winterspie­le feiern. Silvia Mittermüll­er und Nadja Flemming erfüllten in Mönchengla­dbach mit Platz neun und 16 die nationalen Kriterien. Ob es tatsächlic­h reicht, entscheide­t der internatio­nale Verband aber in ein paar Wochen.

Das Finale verpassten sie mit diesen Resultaten. Der Wettbewerb ist für sie beendet, bevor der Großteil der Zuschauer aufs Gelände kommt. Der Sieg geht am Samstagabe­nd an die Schweizeri­n Carla Somaini und im Männer-Finale ohne einheimisc­he Vertreter an Marcus Kleveland aus Norwegen. Am Freitag waren im Männer-Finale der Ski-Freestyler ebenfalls keine Deutschen vertreten. Kea Kühnel und die erst 16-jährige Aliah Delia Eichinger schlossen bei den Frauen als Fünfte und Sechste ab – von insgesamt sechs Teilnehmer­innen in der für die Ski-Freestyler nicht-olympische­n Disziplin.

„Es ist schon so eines meiner Lebensziel­e, dieses Olympia schaffen und abhaken zu können“, sagt Mittermüll­er. Sie hat die Qualifikat­ion für die Spiele in Sotschi 2014 in besonderer Erinnerung. „Am 1. Dezember habe ich mir die Achillesse­hne gerissen und am 2. Dezember, genau vor vier Jahren, wurde ich zusammenge­flickt.“Ein Umstand, der ihr Denken über den Sport verändert hat. Mittlerwei­le geht sie bewusster an den Start.

„Für mich ist das Gladiatore­nSnowboard­en. Du stehst da oben und dann heißt es: friss oder stirb“, sagt die 34-Jährige, die seit November 2000 im Weltcup startet. „Das Größte, was man bei so einem Event feiern kann, ist, wenn es einem danach gut geht, nichts kaputt ist und man hinterher noch lachen kann. Gerade als Frau muss man die Zähne zusammenbe­ißen. Am Berg bin ich anders. Da ist mehr Genuss und weniger Angst dabei.“

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FOTO: DPA Marcus Kleveland aus Norwegen springt beim Snowboard-Weltcup des Big Air in Mönchengla­dbach von der Rampe.

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