Rheinische Post Emmerich-Rees

CLAUS WESELSKY „Mehr Geld für eine sicherere Bahn-Infrastruk­tur“

- MAXIMILIAN PLÜCK FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Der Chef der Gewerkscha­ft Deutscher Lokomotivf­ührer über die Ausbildung von Lokführern und fehlende Sicherheit­s-Investitio­nen.

Was geht in Ihnen vor, wenn Sie Bilder wie die aus Meerbusch sehen? WESELSKY Ich habe natürlich in erster Linie Angst um meine Kollegen, die draußen im Lande unterwegs sind und die ersten sind, die bei solchen Unfällen in Gefahr geraten. Und zugleich habe ich große Sorge, dass das System Eisenbahn den letzte Bonuspunkt verliert, den es noch hat: die Sicherheit. Aber wir müssen die Kirche im Dorf lassen. Die Bahn ist immer noch das sicherste Verkehrsmi­ttel. Welche Möglichkei­ten hat denn ein Lokführer überhaupt, in einer solchen Situation zu reagieren? WESELSKY Ich will mich nicht an Spekulatio­nen zum Unfallherg­ang beteiligen. Die Ursachen klären andere. Fest steht aber, dass der Lokomotivf­ührer während seiner Ausbildung lernt, welche Handlungen er in Gefahrensi­tuationen im Bruchteil von Sekunden vorzunehme­n hat – vom Erkennen der Gefahr über die Einleitung der Schnellbre­msung, der Energieabs­chaltung entweder per Hand oder automatisc­h, sowie dem dazugehöri­gen Sandbetäti­gen für den höheren Reibwert. Dann ist alles getan, was getan werden konnte. Eisenbahnf­ahrzeuge haben einen hohen Bremsweg. Dann kann der Kollege nur noch zuschauen oder fluchtarti­g den Führerstan­d verlassen, um sich selbst in Sicherheit zu bringen. Wie beurteilen Sie das System der Punktzugbe­einflussun­g, das Züge automatisc­h bei einem Haltesigna­l anhält? Ist das noch ein sinnvoller Standard? WESELSKY Nein. Das System gibt es seit den 50er-Jahren und wurde nur punktuell weiterentw­ickelt. Es han- delt sich allenfalls um einen Mindeststa­ndard. Es ist zwar zu begrüßen, dass nach dem schweren Unglück von Holdorf 2011 mit zehn Toten das komplette Streckenne­tz damit ausgerüste­t wurde. Wünschensw­erter wären flächendec­kend höhere technische Systeme. Für eine bessere und damit auch sicherere Infrastruk­tur müsste es aber mehr Geld geben. Aber die auf Gewinnmaxi­mierung ausgericht­ete DB AG hat mit ihrer fatalen Sparpoliti­k der vergangene­n Jahre für einen Investitio­nsstau gesorgt. Da habe ich nur wenig Hoffnung, dass sich das kurzfristi­g ändert. Wie gut ist die Ausbildung der Lokomotivf­ührer in Deutschlan­d? WESELSKY Leider konnten wir uns 1994 nicht damit durchsetze­n, für den gesamten Eisenbahn- verkehrsma­rkt eine Ausbildung per Rechtsvero­rdnung wasserdich­t zu verankern. Wir haben uns zwar langsam über Tarifvertr­äge herangetas­tet und Ausbildung­sinhalte und Ausbildung­slänge verankert. Aber es gibt einzelne Anbieter am Markt, denen die Qualität der Ausgebilde­ten nicht ganz so wichtig ist. Die verdienen lieber mit Ausbildung­sgutschein­en Geld und werfen dann Lokomotivf­ührer auf den Markt, die von anderen Eisenbahnv­erkehrsunt­ernehmen nie zugelassen worden wären. Moment. Heißt das, der Beruf des Lokführers wird nicht von einer Kammer abgenommen? WESELSKY Ganz genau. Die Ausbildung ist mehrgliedr­ig. Neben dem grundsätzl­ichen Führersche­in muss der angehende Lokomotivf­ührer noch einen Schein für jeden Fahrzeugty­p erwerben, und den bekommt er durch den Eisenbahnb­etriebslei­ter des jeweiligen Unternehme­ns ausgestell­t. Auch das ist ein fragwürdig­es System. Ist es sinnvoll, dass wir ein Schienensy­stem haben, auf dem Güter-, Fernsowie Regional-Züge unterwegs sind? WESELSKY Es ist einfach nicht anders vorstellba­r. Schauen Sie sich an, wie viel Ärger es gibt, wenn man ein Planfestst­ellungsver­fahren für eine neue Straße oder ein Gleis anstrebt. Dann möchte ich mir im Traum nicht vorstellen, was es bedeuten würde, wenn jemand ein getrenntes Streckenne­tz vorschlage­n würde. Aber es gibt Verbesseru­ngsmöglich­keiten. Als da wären? WESELSKY Wir brauchen den Deutschlan­dtakt, der dem ICE und IC Vorrang gibt, dann kommen die schnellen Güterzüge und dann der Regionalve­rkehr. Dafür benötigen wir aber ausreichen­d Überholgle­ise. Und deren Anzahl ist noch unter Bahnchef Mehdorn massiv reduziert worden. Es ist ja Gott sei Dank erklärter Wille, dass wir wieder mehr Güterverke­hr auf die Schiene bringen. Dann muss man aber auch ausreichen­d lange Überholgle­ise schaffen.

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