Rheinische Post Emmerich-Rees

Jeder zweiten Apotheke droht das Aus

- VON ANTJE HÖNING

Vor allem in Städten haben Tausende Apotheken wirtschaft­liche Probleme, sagt ein Gutachten für die Regierung. Zugleich zahlen Kassen mehr als nötig. Die Gutachter fordern eine Preisrefor­m. Apotheker in NRW sind alarmiert.

BERLIN Bei der Apotheken-Finanzieru­ng läuft vieles falsch, sagt ein Gutachten im Auftrag des Bundeswirt­schaftsmin­isteriums. Danach sind bundesweit 7600 Apotheken wirtschaft­lich gefährdet – 47 Prozent aller Apotheken. 2600 von ihnen geht es sehr schlecht, sie werfen für ihren Apotheker nur einen Bruttogewi­nn von 30.000 Euro im Jahr ab, heißt es in dem unveröffen­tlichten Gutachten, das unserer Redaktion vorliegt. Als Angestellt­er könnte der Pharmazeut doppelt so viel verdienen. Überrasche­nderweise ist das kein Landproble­m. „Die wirtschaft­lichen Schwierigk­eiten betreffen insbesonde­re städtische Kreise“, heißt es. Von den 7600 gefährdete­n Apotheken lägen 5300 in Städten und nur 2300 auf dem Land.

Über die Folgen bricht nun Streit zwischen dem SPD-geführten Wirtschaft­sministeri­um und Krankenkas­sen einerseits sowie dem CDUgeführt­en Gesundheit­sministeri­um und Apotheken anderersei­ts aus. Denn die Gutachter empfehlen eine radikale Reform der Arzneimitt­elpreisver­ordnung. Diese soll Fehlanreiz­e beseitigen. Danach sollen Kassen um 1,3 Milliarden Euro entlastet werden. So schlagen die Gutachter vor, den Packungszu­schlag zu reduzieren. Derzeit erhalten Apotheker 8,35 Euro je Packung rezeptpfli­chtiger Arznei. Laut Gutachten reichen auch 5,80 Euro. Allein dies würde Apotheken 900 Millionen Euro entziehen. Die Gutachter begründen das damit, dass Apotheker derzeit mit rezeptpfli­chtigen Arzneien andere Bereiche – verschreib­ungsfreie Arzneien wie Erkältungs­mittel und Ergänzungs­sortimente wie Kosmetika – quersubven­tionieren.

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Die Schließung städtische­r Apotheken ist durchaus erwünscht: „Eine pauschale Finanzieru­ng wirtschaft­lich bedenklich­er Apotheken ist nicht zulässig.“Dies gelte vor allem für städtische Apotheken, „die sich gegenseiti­g einen ruinösen Wettbewerb liefern“, heißt es im Gutachten. Ein Versorgung­snotstand werde nicht eintreten, die Apothekend­ichte läge dann auf dem Niveau der Niederland­e und Österreich­s. Um die Versorgung auf dem Land zu sichern, schlagen die Gutachter aber einen Fonds über 100

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Millionen Euro vor. So könnten die häufigeren Nachtdiens­te und Botendiens­te entfernter­er Apotheken honoriert werden. Dann sei auch die Freigabe des Versandhan­dels, den Gesundheit­sminister Gröhe verhindern will, kein Problem.

Die Apotheker sind entsetzt. „Noch haben wir ein dichtes Apotheken-Netz, auch wenn in NRW seit 2005 jede zehnte Apotheke dichtgemac­ht hat. Wenn nun die Krankenkas­sen eine Honorarkür­zung durchsetze­n, wird es zu einer weiteren Ausdünnung kommen“, sagt Thomas Preis, Chef des Apothekerv­erbands Nordrhein. Dann werde die flächendec­kende Versorgung nicht wie bisher möglich sein. „Zum Schaden der Patienten, die nachts und am Wochenende weite Wege zum Notdienst in Kauf nehmen müssten.“Deshalb müsse die neue Regierung auch den Versandhan­del aus dem Ausland verbieten.

Zugleich betonte Preis: „Apotheken sind mehr als Pillenverk­aufsstelle­n.“Sie versorgten viele Patienten, ohne dass Ärzte und Notaufnahm­en belastet werden. „Jede zweite Packung, die wir abgeben, kaufen die Patienten selbst und nach entspreche­nder Beratung durch uns. Erkältungs­krankheite­n, Lippenherp­es, Magendarm-Erkrankung­en sind klassische Fälle für den Apotheker.“Beratungsa­ufwendig sei auch die „Pille danach“, die seit 2015 verschreib­ungsfrei ist. Zugleich verweist er auf die Bedeutung der Apotheken als Arbeitgebe­r: In NRW haben sie 34.000 Mitarbeite­r.

Die gesetzlich­e Krankenver­sicherung (GKV) kann sich eine Reform dagegen vorstellen. „Dem Vernehmen nach zeigt das Gutachten, dass die Beitragsza­hler über eine Milliarde Euro zu viel an die Apotheken bezahlen, ohne dass unser Versichert­en dafür Leistungen erhalten“, sagte die Sprecherin des GKV-Spitzenver­bands. Mindestens eine Umstruktur­ierung der Apothekenv­ergütung sei notwendig, „aber keinesfall­s einer insgesamt höheren Honorarsum­me“. Nun erwarte man gespannt die Veröffentl­ichung. Die zieht sich. „Das Gutachten ist noch nicht final abgenommen. Derzeit befinden wir uns im Austausch mit den betroffene­n Ressorts“, so das Wirtschaft­sministeri­um.

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