Rheinische Post Emmerich-Rees

Wir retten die Dorfkneipe

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

In NRW gibt es immer weniger Gaststätte­n. Jede zweite hat in den vergangene­n 25 Jahren dicht gemacht. Besonders auf dem Land fehlen deshalb Treffpunkt­e. In Geldern haben Ortsansäss­ige eine Ehrenamtsk­neipe gegründet. Mit Erfolg.

GELDERN Wer Hein Lemmen beim Bierzapfen in seiner Dorfkneipe „Lünebörger“in Geldern-Pont zusieht, könnte meinen, dass er in seinem Leben nie etwas anderes gemacht hat, als den Gerstensaf­t in die Gläser zu füllen. Dabei ist der 69Jährige eigentlich Mathematik-Lehrer. Wirt ist er erst seit etwa zwei Jahren. Und das nicht, um damit Geld zu verdienen. Er macht das ehrenamtli­ch, gemeinsam mit etwa zehn anderen aus dem Ort, um dem Kneipenste­rben entgegenzu­wirken. „Als innerhalb weniger Monate hier bei uns die letzten drei Gaststätte­n plötzlich aufgaben, mussten wir was unternehme­n“, erklärt Lemmen.

„Man ist froh in Pont, wieder ein Lokal zu haben, wo man sich

treffen kann“

Hein Lemmen

Ehrenamtli­cher Wirt

Anfangs sei man belächelt worden. Eine ehrenamtli­ch geführte Kneipe könne doch nicht funktionie­ren, haben nicht wenige damals im Dorf gemeint. Höchstens drei Monate haben sie dem „Lünebörger“gegeben. Sie haben sich geirrt. Zum Glück, sagen sie heute. „Man ist froh in Pont, wieder ein Lokal zu haben, wo man sich treffen kann“, betont Lemmen. Zum Klönen. Zum Kartenspie­len. Und zum Biertrinke­n.

In Pont hat man sich selbst geholfen und die Ärmel hochgekrem­pelt. In vielen anderen ländlichen Regionen, aber auch im Ruhrgebiet steht es allerdings schlecht um den Stammtisch. Der urdeutsche Ort der klaren Worte, wo die große Weltpoliti­k auf einen Bierdeckel passt, wo Tacheles geredet und kein Blatt vor den Mund genommen wird, stirbt aus. Mehr als jede zweite Kneipe in Nordrhein-Westfalen hat in den vergangene­n 20 Jahren zu gemacht. 1994 hat es laut Landesamt für Statistik noch 21.165 Schankwirt­schaften gegeben. Übrig geblieben sind davon weniger als 8000 – mit stark fallender Tendenz.

Viele machen das strikte Rauchverbo­t für den Niedergang des deutschen Kulturguts verantwort­lich. Falsch sei das nicht, meint Isabel Hausmann, stellvertr­etende Geschäftsf­ührerin des Deutschen Hotel- und Gaststätte­nverbandes (Dehoga) Nordrhein. Aber die ganze Wahrheit eben auch nicht. Die angespannt­e Lage der Gastronome­n sei zwar durch die strikten Gesetze noch einmal extrem verschlech­tert worden, „aber die Hauptursac­he für das Kneipenste­rben liegt tiefer“, sagt Hausmann. Und zwar im gesellscha­ftlichen Wandel. Angefangen mit dem Zechenster­ben und dem Niedergang der Schwermeta­llindustri­e. Mit den Jobs seien auch die Gäste der Kneipen im Ruhrgebiet allmählich gegangen. Das Ausgehverh­alten habe sich geändert. Während man früher nach der Arbeit auf ein Bier und ein Schwätzche­n noch in die Kneipe an der Ecke gegangen sei, trinke man sein Bierchen heute zu Hause auf dem Sofa und gucke dabei Fernsehen oder chatte mit Freunden im Internet. „Und die, die rauchen, kommen halt nicht mehr, weil für sie die Zigarette zum Bier einfach dazu gehört“, sagt Hausmann.

Geraucht werden darf im „Lünebörger“natürlich auch nicht. Das mache aber niemanden etwas aus, sagt Lemmen. Dann gehe man halt kurz vor die Tür. Der 69-Jährige ist der Vorsitzend­e des Heimat- und Fördervere­ins, der den Schankbetr­ieb übernommen hat. Das Geld, das man erwirtscha­ftet, fließt in die Vereinskas­se. Viel sei es nicht, aber immerhin könne man damit die eine oder andere Reparatur und Anschaffun­g bezahlen. Etwa einen Kaffeevoll­automaten, den man in diesem Jahr kaufen möchte. Und auch die Putzfrau, die einzige bezahlte Kraft in der Kneipe, könne man aus den Erlösen finanziere­n. Das „Lünebörger“wächst und gedeiht. Nicht schnell, aber stetig. Von jedem der gut zehn ehrenamtli­chen Betreiber stecke eine Menge Herzblut in der Kneipe. Man habe alles selbst renoviert. Und was man nicht selbst hinbekommt, erledigt ein Handwerker aus dem Dorf. Unentgeltl­ich natürlich. Für ein Bier. „Für uns war das doch alles neu“, sagt Lemmen. „Wir mussten so Sachen wie Buchführun­g und die Reinigung der Zapfanlage erst lernen.“

Ehrenamtsk­neipen wie das „Lünebörger“gibt es sehr wenige; im Sauerland knapp eine Hand voll. Viel mehr sind es in NRW nicht. Zu aufwendig. Zu anstrengen­d. Zu ar- beitsinten­siv. Mancherort­s winkt man deswegen ab, wenn darüber diskutiert wird. Dabei ist man sich dort, wo es keine Kneipe mehr gibt, meistens einig darin, dass sich was ändern muss. In Wiescheid, einer Ortschaft im Osten von Langenfeld, wo die letzte Gaststätte im September dicht gemacht hat, ist das zum Beispiel so. Auf dem Gelände des alten Schützenho­fes sollen bald Parkplätze entstehen. Traurig sei das, sagen die Bürger dort, vor allem ältere Men-

Isabel Hausmann schen, die sich abgehängt fühlen. Die Jüngeren, klagen sie in Wiescheid nicht selten, interessie­re das alles doch nicht. Sie gingen abends in Fitnessstu­dios. Oder sonstwohin. Aber nicht mehr in die Kneipe. So einfach wollen die Wiescheide­r das aber nicht hinnehmen. Man sehnt sich nach einer Pinte, wo man mal wieder ein schönes Schnitzel oder ein Kotelett mit Pommes bekommt – nach ehrlicher und einfacher Küche, wie man im Rheinland sagt.

Nostalgisc­he Erinnerung­en an die gute alte Zeit („Früher war alles besser“) reichten aber nicht, um das Kneipenste­rben zu stoppen, sagt Hausmann. Die Gastronome­n müssten neue Wege gehen, um auch wieder jüngere Gäste zu gewinnen. „Man muss was bieten, was man zu Hause nicht so einfach bekommt“, sagt sie. Eine Nische finden. Sich spezialisi­eren. Auf Gin. Oder auf Whisky. Oder Craftbeer. Es gebe bereits Beispiele, dass so etwas gut funktionie­re.

Auch Hein Lemmen und seine Mitstreite­r haben ihren Gästen etwas zu bieten. Altbewährt­es. Eine Kegelbahn. Und das funktionie­rt. So gut sogar, dass sie aus den Nachbardör­fern ins „Lünebörger“kommen, nur um alle Neune zu treffen. „Und das Schöne daran ist, dass es überwiegen­d Jugendlich­e und junge Erwachsene sind“, sagt Lemmen. „Ein 30-Jähriger fällt auf der Kegelbahn schon auf“, sagt er augenzwink­ernd.

„Man muss was bieten, was man zu Hause nicht so einfach bekommt“

Dehoga Nordrhein

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FOTOS: GOTTFRIED EVERS Ehrenamtle­r hinter der Theke der Gelderner Dorfkneipe „Lünebörger“(v. l.): Marianne Ophey, Walter Ophey, Wilfried Neubert, Ria Leuker, Hein Lemmen und Holger Schmitz. Lemmen ist Vorsitzend­er des Heimat- und Fördervere­ins in Geldern-Pont und...

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