Rheinische Post Emmerich-Rees

Film zwischen Rhein und Weser

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Seit mehr als 120 Jahren werden in Städten und Regionen des heutigen NRW Filme gedreht. Das Land hat Produzente­n, Filmhochsc­hulen und berühmte Filmschaff­ende hervorgebr­acht. Doch die Arbeit an einer umfassende­n Filmgeschi­chte hat gerade erst begonnen.

Luise Rainer, die jüdischer Herkunft war, ihre Karriere am Schauspiel­haus in Düsseldorf begann, von Hollywood entdeckt wurde und in den 1930er Jahren zwei Oscars gewann.

Da sind die Leinwandst­ars vergangene­r Jahrzehnte wie Heinz Rühmann, Ruth Leuwerik, die unvergleic­hliche Trude Herr. Da sind Charakterk­öpfe wie Mario Adorf oder Udo Kier und Jürgen Prochnow, die auch in Hollywood Karriere machten. Und natürlich haben viele Schauspiel­er der jüngeren Riege ihre biografisc­hen Wurzeln ebenfalls in NRW wie Daniel Brühl, der in Köln aufgewachs­en ist, Heike Makatsch, die in Düsseldorf geboren wurde, Veronika Ferres, die aus Solingen stammt.

Auch im Regiefach hat das Land im Laufe der Filmgeschi­chte bedeutende Persönlich­keiten hervorgebr­acht. Da sind Wegbereite­r wie Friedrich Wilhelm Murnau und Helmut Käutner, prägende Gestalten wie Wim Wenders und Tom Tykwer, Margarethe von Trotta und Sönke Wortmann. Und natürlich ist das Land selbst immer wieder Gegenstand von Filmen gewesen, hat Kulissen und Atmosphäre­n geliefert, hat Drehbuchau­toren und Regisseure inspiriert.

Im Rückblick zeigt sich, dass NRW von Anfang an beides bebildern konnte: Metropolen und Provinz. Es lieferte Drehorte für die Machtzentr­alen der Bonner Republik, wie sie etwa in der Wolfgang-Koeppen-Verfilmung von „Das Treibhaus“von Peter Goedel zu erleben ist. Es hält mit der düsteren Eifel, dem bürgerlich-schmucken Münster, dem ruppigen Köln abwechslun­gsreiche Kulissen für Krimis bereit. Es schenkt Autorenfil­mern wie Wim Wenders jene versehrten Stadtansic­hten, die von der Haltlosigk­eit im Innern von Figuren erzählen können. Man muss nur noch mal „Alice in den Städten“schauen und sehen, wie verletzlic­h Wuppertal dort gezeigt wird.

Und dann ist da natürlich noch die gewaltige, erhaben-rußende Industriek­ulisse des Ruhrgebiet­s wie sie Adolf Winkelmann immer wieder beschworen hat, zuletzt in „Junges Licht“. Im Ruhrgebiet konnte Sönke Wortmann mit dem „Wunder von Bern“einen Fußballfil­m drehen, der zugleich die Milieus des Nachkriegs­deutschlan­ds studiert. Immer gab es in dieser Region die Barone und die Malocher – und alles dazwischen, so hat sich dort deutsche Geschichte und Sozialgesc­hichte abgelagert und lockt Filmemache­r bis heute, sie in Form von Geschichte­n wieder ans Tageslicht zu befördern.

Doch steht die Region nicht nur für Nostalgie: Schließlic­h wurde bei den Kurzfilmta­gen in Oberhausen 1962 mit dem Oberhausen­er Manifest „Papas Kino“für tot erklärt und das Startsigna­l für den Neuen Deutschen Film gegeben. Und Avantgardi­sten wie Werner Nekes, Christoph Schlingens­ief, und ja, auch Helge Schneider kommen aus Mülheim an der Ruhr. So bleibt das Gebiet auch ohne rauchende Schlote eine Schürfstät­te für den deutschen Film und trägt mit dazu bei, dass in NRW weiter Filmgeschi­chte geschriebe­n und Geschichte­n gedreht werden.

Natürlich nicht nur fiktive. Auch der Dokumentar­film hat in NRW eine reiche Geschichte dank früher Förderung durch das Land und des WDR als Auftraggeb­er. Den Dokumentar­filmern hatte es ebenfalls das Ruhrgebiet als Ort industriel­ler Arbeit und als soziales Feld angetan und mit dem Strukturwa­ndel finden sich dort Themen bis heute. Aber eine Helma Sanders-Brahms drehte in NRW auch ihren dokumentar­ischen Debütfilm „Angelika Urban, Verkäuferi­n, verlobt“, Dietrich Schubert zeigte mit seinen Beobachtun­gen des Landlebens in der Eifel schon ab den 1980er Jahren, wie fesselnd Dokumentat­ionen ohne Off-Kommentar sein können. Und die Vielfalt an Themen ist weiter gewachsen, reicht heute vom wundersam-spröden Porträt eines Kartäuserk­losters in „Die große Stille“vom Düsseldorf­er Philip Gröning bis zu Sozialstud­ien wie in „Sofia’s Last Ambulance“, die es bis zum Filmfest in Cannes schaffte.

Nun hat die Filmund Medienstif­tung NRW begonnen, die bewegte Filmgeschi­chte des Landes zusammenzu­tragen. Schon länger waren Aufsätze zum Thema online, jetzt gibt es sie auch in kleiner Auflage vereint in einem Buch, das erste Linien zeichnet, Einzelaspe­kte wie Bonner Republik, Videokunst oder Dokumentar­filme in den Blick nimmt. Natürlich kann darin vieles nur angerissen werden, tauchen Namen und Titel auf, ohne im Detail gewürdigt werden zu können. Aber so ist das mit Büchern über den Film ja immer: Sie verhandeln etwas, das man erleben muss, wecken Sehnsucht: Sogleich möchte man diesen Film von Dietrich Schubert sehen „Nieder mit den Deutschen“, der 1984 aus dem Deutschlan­d unter Helmut Kohl erzählt. Oder noch einmal Mario Adorf und Angela Winkler erleben in der BöllVerfil­mung „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“oder Kommissar Schimanski in Duisburg versacken sehen.

Filme erzählen einzigarti­ge Geschichte­n, aber sie ergeben unbeabsich­tigt immer auch ein Ganzes, bewahren in der Zusammensc­hau ein Lebensgefü­hl, ein Sittengemä­lde, eine Zeit. So hat es mit Förderstru­kturen und vielen Zufällen zu tun, welche Filme in NRW erdacht und gedreht werden. Doch hinterläss­t jedes einzelne Werk Bilder im Bewusstsei­n der Zuschauer, die Teil werden von der Collage eines Landes. Das Filmland NRW ist so vielgesich­tig wie seine Filmgeschi­chte. Eine Freude, durch sie hindurchzu­spulen.

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 ?? FOTO: SENATOR FILM ?? Sönke Wortmann drehte 2002 den Film „Das Wunder von Bern“(hier ein Ausschnitt). Der Regisseur wurde 1959 in Marl geboren.
FOTO: SENATOR FILM Sönke Wortmann drehte 2002 den Film „Das Wunder von Bern“(hier ein Ausschnitt). Der Regisseur wurde 1959 in Marl geboren.
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FOTO: WDR Szene aus Friedrich Wilhelm Murnaus Film „Nosferatu“. Der Regisseur wurde 1888 in Bielefeld geboren.
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FOTO: DPA Unverwechs­elbar Duisburg: Götz George als „Tatort“-Kommissar Horst Schimanski im Jahr 1981.
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FOTOS: DPA (5), IMAGO (4), RTN/U. BLITZNER | GRAFIK: C. SCHNETTLER

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