Rheinische Post Emmerich-Rees

„Der Fall ist für Jugendgewa­lt untypisch“

- CLAUDIA HAUSER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Dietrich Oberwittle­r ist Forschungs­gruppenlei­ter am MaxPlanck-Institut für ausländisc­hes und internatio­nales Strafrecht und Professor für Soziologie an der Universitä­t Freiburg. Zu seinen Arbeitssch­werpunkten gehören Jugendfors­chung und Kriminalso­ziologie. Ist der Fall aus Lünen auch für Sie schwer zu erklären? DIETRICH OBERWITTLE­R Es ist ein ganz ungewöhnli­cher Fall von schwerer Jugendgewa­lt. Zum einen eskaliert es auf eine solche Art unter Jugendlich­en typischerw­eise nicht. Der Fall ist aber auch für die gesamte Entwicklun­g der Jugendgewa­lt in Deutschlan­d untypisch. Wird die Jugend immer brutaler? OBERWITTLE­R Nein. Man muss die langfristi­gen Trends betrachten und die objektiven Daten. Und die zeigen, dass Gewalt unter Jugendlich­en in Deutschlan­d über einen Zeitraum von etwa zehn Jahren ganz deutlich abgenommen hat. Es gibt auch nur noch etwa halb so viele Tötungsdel­ikte wie vor 20 Jahren. Was ist schiefgela­ufen, wenn ein 15Jähriger immer wieder durch Aggressivi­tät auffällt? OBERWITTLE­R Ohne den Einzelfall im Detail zu kennen und bewerten zu wollen: Es wird deutlich, dass massive Probleme auf der Täterseite vorhanden gewesen sein müssen, um solch eine Tat auch zu begehen. Da können pathologis­che Persönlich­keitsstruk­turen eine Rolle spielen. Bei gewalttäti­gen Jugendlich­en spielen ganz allgemein oft Anerkennun­gsdefizite eine Rolle. Sie wollen Probleme mit Gewalt lösen, sind leicht reizbar, oft fehlt es auch an Empathie. Das Verhalten in extremen Einzelfäll­en ist schwer zu durchschau­en – und schwer zu prognostiz­ieren.

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