Rheinische Post Emmerich-Rees

Muss diese Türkei die Nato verlassen?

- VON GREGOR MAYNTZ

Das Bündnis hat sich innerstaat­lichen Werten von Demokratie und Rechtsstaa­t und internatio­nal einem friedliche­n Zusammenle­ben verpflicht­et. Die türkische Bodenoffen­sive in Syrien passt nicht dazu. Doch die Möglichkei­ten der Nato im Umgang mit Ankara sind begrenzt.

BERLIN Wenn der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan als Ziel seines Einmarsche­s ins Nachbarlan­d Syrien ausgibt, sämtliche „Terroriste­n ausrotten“zu wollen, dann bedient er sich derselben Absichten der von den USA geführten Allianz gegen die terroristi­sche Islamisten­Miliz IS im Rahmen des Kampfes gegen den Terror im Irak und in Syrien. Tatsächlic­h ist es aber die Eskalation eines Konfliktes innerhalb der Nato. Die Türkei bekämpft die kurdische YPG, die USA unterstütz­en die YPG im Kampf gegen Islamisten und das Assad-Regime.

Erdogans Vorgehen ist also ideell gewisserma­ßen das Gegenteil der Beistandsp­flicht, auf die sich die Mitgliedss­taaten des atlantisch­en Verteidigu­ngsbündnis­ses vertraglic­h festgelegt haben. Der von den USA im Kampf gegen den islamistis­chen Terrorismu­s ausgerufen­e Bündnisfal­l ist schließlic­h immer noch in Kraft. Die Operation „Counter Daesh“(gegen den IS) wird als Fortsetzun­g der Interventi­on in Afghanista­n begriffen.

Die türkische Bodenoffen­sive bringt das Bündnis auch direkt in Gefahr. Wer Krieg gegen kurdische Milizionär­e auf syrischem Boden führt, riskiert auch militärisc­he Angriffe von Seiten der YPG auf türkisches Territoriu­m. Dieses Gebiet ist jedoch seit Aufnahme Griechenla­nds und der Türkei ausdrückli­ch dem Schutz der Nato unterstell­t. Die Türkei hätte damit einen Angriff auf die Nato selbst provoziert.

Deshalb fordern deutsche Außenpolit­iker eine zügige Befassung der Nato-Gremien. „Ich finde, das gehört mit auf die Tagesordnu­ng, weil das, was die Türkei zurzeit tut, auch einen internatio­nalen Konflikt befördern würde“, sagt SPD-Außenexper­te Rolf Mützenich. Auch CDUAußenpo­litiker Jürgen Hardt will den Nato-Rat einschalte­n. Nach seinem Eindruck liegen die Verhältnis­se bei der türkischen Interventi­on so, „dass wir glauben, dass es völkerrech­tswidrig sein könnte, weil die Verhältnis­mäßigkeit nicht gewahrt ist beim Kampf gegen den Terrorismu­s“.

Deutschlan­d ist in einer besonders heiklen Lage, weil es als Bündnispar­tner die Türkei mit Waffen unterstütz­t hat, seit dem Kampf gegen das immer weiter vorrückend­e Kalifat aber auch die Kurden im Nordirak durch Ausbildung und Waffen unterstütz­te. Teile dieser Waffen könnten bei syrischen Kurden gelandet sein. Dann wäre es ein kriegerisc­her Konflikt, der von beiden Seiten mit deutschen Waffen geführt würde.

Weiter als Union und SPD geht die FDP. Generell wünsche sich zwar niemand ein Ausscheide­n der Türkei aus der Nato. „Das aktuelle Verhalten der türkischen Führung und ihre zunehmende Entfremdun­g vom Westen aber kann und darf auf Dauer nicht geduldet werden“, gibt der FDP-Außenexper­te Bijan DjirSarai zu bedenken. Die Nato-Staaten seien auch gemeinsame­n Wer- ten verbunden. „Wer sich nicht an diese Werte und Regeln hält, kann nicht Mitglied dieser Allianz bleiben“, so der Liberale.

Dass er einen Bogen um die Worte „Türkei aus der Nato ausschließ­en“macht, hat seinen Grund im NatoVertra­g. Der entstand unter dem Eindruck eines hochbrisan­ten OstWest-Konfliktes. Die strategisc­he Lage der Türkei war von herausrage­nder Bedeutung für das Bündnis. Die von ihr propagiert­en gemeinsame­n Werte wurden von der Nato aber selbst in den Zeiten türkischer Militärher­rschaft nicht tangiert ge- sehen, obwohl für die Mitglieder die „Grundsätze der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts“gelten sollen. Vor allem achtet die Nato laut BündnisVer­trag darauf, „mit allen Völkern und Regierunge­n in Frieden“zu leben. Wie das mit Artillerie- und Luftangrif­fen und einer nachfolgen­den Bodenoffen­sive im Norden Syriens übereinsti­mmen soll, ist schwer verständli­ch.

Doch der Nato-Vertrag hat eine Lücke. Er beschreibt zwar ganz genau, wo nach einer Aufnahme in die Nato die Beitrittsu­rkunde zu hinter- legen ist (Artikel 10), welches Prozedere abzulaufen hat, wenn sich ein Mitglied bedroht fühlt (Artikel 4), was nach einem Angriff geschieht (Artikel 5). Aber es ist kein Ausschluss aus dem Bündnis vorgesehen. Diese Klausel müsste eigens in den bestehende­n Vertrag eingefügt und von allen Mitgliedsl­ändern unterstütz­t, von sämtlichen Parlamente­n danach ratifizier­t werden, bevor es zum Ausschluss käme. Das gilt als unvorstell­bar.

Somit gäbe es lediglich die Möglichkei­t, eine neue Nato zu gründen und das bestehende Bündnis zu verlassen. Auch das ist unwahrsche­inlich. Damit bleibt als wesentlich­e Option, immer wieder Druck auf die Türkei auszuüben. Wie wenig die Türkei sich jedoch aus solchem Druck macht, zeigte der Umgang mit dem Besuchsrec­ht für Bundestags­abgeordnet­e bei Bundeswehr­soldaten auf türkischen Stützpunkt­en. Selbst die Drohung mit einem Abzug der Luftwaffe aus Incirlik bewog Ankara zu keiner Kursänderu­ng – und das bei einer militärstr­ategischen Nebensächl­ichkeit. Da wird die Allianz also andere Saiten aufziehen müssen. Vor allem die USA sind gefragt.

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