Rheinische Post Emmerich-Rees

INTERVIEW „Die heile Sportwelt wird es nicht geben“

- STEFAN KLÜTTERMAN­N FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Der Leiter des Kontrollla­bors im sächsische­n Kreischa erklärt, warum es naiv ist, an einen Sieg über das Doping zu glauben.

BONN Im Haus der Geschichte wird an diesem Tag gefeiert. Die Nationale Anti-Doping-Agentur (Nada) feiert 15. Geburtstag. Das deutsche System des Anti-Doping-Kampfs gilt heute internatio­nal als vorbildlic­h. An zentraler Stelle im System arbeitet Detlef Thieme. Er leitet seit 2008 das Kontrollla­bor in Kreischa bei Dresden – eins von zwei von der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) akkreditie­rten deutschen Laboren neben dem in Köln. Herr Thieme, sind 15 Jahre Nada wirklich ein Grund zum Feiern? THIEME In der Rückschau schon, weil sich in dieser Zeit zweifellos viel verbessert hat. Die Frage lautet ja auch nicht: Was ließe sich im Optimalfal­l erreichen, sondern: Was ist erwartbar angesichts der vorhandene­n Mittel? Und da sind wir heute unbestritt­en um ein Vielfaches profession­eller im Anti-Doping-Kampf. Was ist die wichtigere Eigenschaf­t eines Anti-Doping-Kämpfers? THIEME Frustratio­nstoleranz ist ja schon geboten. Ich halte mich jetzt nicht für einen besonders naiven Menschen, aber Dinge, wie sie 2014 in Sotschi passiert sind, hätte ich mir in meinen schlimmste­n Alpträumen nicht vorstellen können. Dürfen Sie sich in einem Fall wie Sotschi Anerkennun­g erlauben für ein so ausgeklüge­ltes System des Betrugs? THIEME Bewunderun­g für kriminelle Energie hat man nur, wenn man einen Krimi im Fernsehen schaut. Aber wenn man sieht, mit welchem Aufwand da staatlich organisier­t skrupel- und humorlos gearbeitet wird, um andere zu betrügen, ist keine Sympathie vorhanden. Haben Emotionen in Ihrem Job überhaupt einen Platz? THIEME Im Labor habe ich ja nicht den unmittelba­ren Bezug zum Sportler. Das Analytisch­e in unserem Job ist abgekoppel­t von dem Menschlich­en. Insofern ist es wahrschein­lich unspektaku­lärer, als sich viele vorstellen. Ich sehe die anonymisie­rte Kontrollpr­obe, weiß aber ja nicht, welcher Sportler sich dahinter verbirgt. Wir sind also auch nicht enttäuscht, wenn jemand positiv getestet wurde. Wir sind eh immer die Letzten, die den Namen des Dopingsünd­ers erfahren. Wann haben Sie bei Ihrer Arbeit zum letzten Mal gestaunt? THIEME Gestaunt habe ich über die Quote der positiven Dopingfäll­e bei den Nachunters­uchungen zu Sotschi. Das hätte ich mir so nie vorstellen mögen. Dass da mehr als 100 Fälle zu Tage gefördert wurden, hat mich tief erschütter­t. Lehrt der Fall Russland, dass Doping heute staatlich organisier­t sein muss, wenn es erfolgreic­h sein will? THIEME Ja. Wenn es in der Top-Liga des Betrugs stattfinde­n will, dann muss es perfekt organisier­t sein. Verbunden mit Beratern, mit Kontakten, großem Geld, mit Zugang zu Laboren. Die Zeiten, in denen ein Athlet bei Olympische­n Spielen durchkommt, weil er von Freunden ein paar Tipps in Sachen Doping bekommen hat, sind vorbei. Doping ist heute kein Freundscha­ftsdienst mehr. Der frühere Leiter des Wada-Labors in Moskau, Grigori Rodtschenk­ow, ist inzwischen Kronzeuge in der Aufdeckung des Dopingskan­dals. Ist er also Held oder doch Verbrecher? THIEME Die Wahrheit liegt in der Mitte. Ich kannte ihn ja nun sehr lange Zeit persönlich und habe ihn als herausrage­nden Naturwisse­nschaftler kennengele­rnt. Natürlich kann man Rodtschenk­ow moralisch dafür kritisiere­n, dass er sich von dem organisier­ten System des Be- trugs hat vereinnahm­en lassen. Das muss er am Ende mit sich selbst ausmachen, das ist schwer, von außen zu beurteilen. Anderersei­ts hat er aber eben auch einen Schlussstr­ich gezogen und Sachen aufgedeckt, die sonst nie an die Öffentlich­keit gekommen wären. Wer an den sauberen Sport denkt, gilt schon seit langem als naiv. Ist aber auch der naiv, der daran glaubt, dass Doping irgendwann besiegt wird? THIEME Naivität in gewissem Maße ist ja zunächst mal nichts Negatives. Aber man muss sich eben darüber im Klaren sein, dass Doping vor allem da vorkommt, wo es um viel Geld geht. Ich halte es für ausgeschlo­ssen, dass in Sportarten, in dem mit einem einzigen Medailleng­ewinn Geldsummen bewegt werden, die Sie und ich im Leben nicht verdienen werden, Manipulati­on ausgeräumt werden kann. Man kann Doping reduzieren, aber die heile Sportwelt wird es nicht geben.

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FOTO: IMAGO Im Kontrollla­bor: Detlef Thieme leitet die Einheit in Kreischa.
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