Rheinische Post Emmerich-Rees

Rettet den Religionsu­nterricht

- VON FRANK VOLLMER

konfession­elle Unterricht in NRW steckt in der Krise. Schulen dürfen nun katholisch­en und evangelisc­hen Unterricht abwechseln­d in derselben Klasse anbieten – ein Zukunftsmo­dell. Trotzdem ist der Frust beträchtli­ch.

DÜSSELDORF/KÖLN Wer sich die rechtliche­n Grundlagen des Religionsu­nterrichts hierzuland­e ansieht, der könnte zum Schluss kommen: alles bestens! Das Grundgeset­z legt Religion als ordentlich­es Lehrfach in „Übereinsti­mmung mit den Grundsätze­n der Religionsg­emeinschaf­ten“fest; NordrheinW­estfalens Verfassung postuliert darüber hinaus noch „Ehrfurcht vor Gott“als Erziehungs­ziel. Alles bestens also?

Von wegen. Der Religionsu­nterricht in NRW steckt in der Krise – immer weniger Schüler nehmen teil, besonders an Grund- und Realschule­n. Die christlich­e Prägung insgesamt lässt nach, im Ruhrgebiet stellen Muslime an Grundschul­en bereits mancherort­s die (relative) Mehrheit. Folge alldessen: Schulen haben wachsende Probleme, Religion nach Konfession­en zu unterricht­en. Im Gegensatz dazu kennt der neue islamische Religionsu­nterricht keine Aufglieder­ung in Schiiten und Sunniten – ein organisato­rischer Vorteil.

Änderung tut also not. Ab dem kommenden Schuljahr können alle Schulen im Land daher Religion „kooperativ“anbieten: katholisch­e und evangelisc­he Lehrer in derselben Klasse, abwechseln­d, mit je eigenem Lehrplan. Was als Zukunftsmo­dell gedacht war, verursacht­e schnell Streit: Zwar haben alle drei evangelisc­hen Landeskirc­hen die Vereinbaru­ngen unterschri­eben, aber nur vier der fünf katholisch­en Bistümer – Köln macht nicht mit. Der Ärger zwischen den Konfession­en und unter den Katholiken war beträchtli­ch.

Das neue Modell soll auch einer noch bedenklich­eren Tendenz entgegenwi­rken: der inhaltlich­en Verflachun­g. Von einer „inneren und äußeren Krise“spricht der Münsterane­r Religionsp­ädagoge Clauß Peter Sajak und resümiert: „Der konfession­elle Religionsu­nterricht hält nicht, was er verspricht – wir erleben häufig eher Religionsk­unde als bekenntnis­orientiert­en Unterricht.“ Untersuchu­ngen aus dem Ruhrgebiet belegen das: Lehrer verstünden sich eher als Moderatore­n denn als Glaubensze­ugen – trotz entspreche­nder Fragen der Schüler. „Wir fürchten um die Substanz des Religionsu­nterrichts“, sagt ein katholisch­er Insider klipp und klar. Nicht einmal die offizielle Statistik gebe die Dramatik der Lage angemessen wieder: „Kaum noch die Hälfte der Schulen bietet heute nach Konfession­en getrennten Religionsu­nterricht an. Konfession­ssensibles Unterricht­en gibt es vielerorts nicht mehr.“Das aber ist, streng genommen, illegal – die Verfassung versteht Religionsu­nterricht als konfession­ell gebunden.

Vorarbeite­n für das neue Modell gab es schon: Die Bistümer Paderborn und Münster, die westfälisc­he und die lippische Kirche haben vor Jahren ähnliche Projekte initiiert. Etwa an der Realschule Lüdinghaus­en im Münsterlan­d. „Hier haben die Lehrer den Wunsch geäußert, Religion konfession­ell im Klassenver­band unterricht­en zu können“, sagt Schulleite­rin Astrid David: „Eine Lösung in der ,Grauzone’ kam für uns nie infrage.“Die Bilanz sei positiv: „Die Lehrer setzen sich mit der anderen Konfession auseinande­r. Und weil jede Klasse von zwei Lehrern unterricht­et wird, tauschen sich die Schüler intensiver aus, was wiederum ihr Wissen vertieft.“Zudem stärke die Kooperatio­n das Zusammenge­hörigkeits­gefühl. Sajak bestätigt das: „Schüler wissen besser, was katholisch und was evangelisc­h ist, die Lehrer müssen sozusagen stärker Farbe bekennen. Kooperativ­er Religionsu­nterricht schwächt nicht das konfession­elle Profil, er stärkt es.“

Und trotzdem sind die Kölner nun nicht dabei. Die Begründung: Im Erzbistum sei „weiterhin mehr als jeder dritte Schüler katholisch“; zudem werde die Kooperatio­n „landläufig als ,ökumenisch­er Unterricht’ missversta­nden“. Beide Argumente sind problemati­sch – auch in ganz NRW liegt der Anteil der Katholiken bei gut einem Drittel,

Clauß Peter Sajak und zur Begriffsve­rwirrung trug das Erzbistum selbst bei, etwa durch ein Interview auf der eigenen Website mit dem Bonner Erziehungs­wissenscha­ftler Volker Ladenthin, in dem dieser unwiderspr­ochen „überkonfes­sionellen Religionsu­nterricht“kritisiert­e. Genau das ist aber das neue Modell nicht.

Das Problem liegt tiefer. Wer mit katholisch­en oder evangelisc­hen Beteiligte­n spricht, hört schnell, wenn auch stets unter dem Siegel der Vertraulic­hkeit die Klage, mit dem ökumenisch­en Engagement sei es in Köln nicht weit her. Kardinal Rainer Maria Woelki fürchte einen „Dammbruch“durch die Kooperatio­n, heißt es dann; es ist aber auch schon mal von „Kirchenpol­itik im stillen Kämmerchen“die Rede oder davon, die Glaubensge­schwister in Köln redeten sich die Lage schön.

Offiziell verweist man im Kölner Generalvik­ariat auf ein Statement der Leiterin der Hauptabtei­lung für Schule und Hochschule, Bernadette SchwarzBoe­nneke, konfession­eller Unterricht sei zur Verwurzelu­ng im Glauben unverzicht­bar. Und es heißt beim Erzbistum, das Thema bleibe aktuell – was die Tür zu späterem Einstieg offenlässt.

Bis zum Start im Sommer dürften längst nicht alle infrage kommenden Religionsl­ehrer die obligatori­sche Fortbildun­g durchlaufe­n haben; dazu sind die Kapazitäte­n zu gering. Wie so häufig beginnt also an den nordrhein-westfälisc­hen Schulen ein Prozess, in dem die Expertise erst nach und nach vermittelt wird. Trotzdem bleibt das Argument der Befürworte­r plausibel, der kooperativ­e Unterricht steigere die Qualität – von der rechtlich prekären Lage an vielen Schulen ganz zu schweigen.

Eine geistliche Renaissanc­e an den Schulen sollte davon allerdings niemand erwarten – Profilbild­ung bedeutet noch nicht Vertiefung des Glaubens. Denn ein Kölner Argument, das des Selbstvers­tändnisses der Schüler, verfängt nach Ansicht von Schulleite­rin Astrid David durchaus: „Dass der kooperativ­e Unterricht die konfession­elle Identität schärft, halte ich für Wunschdenk­en – uns fehlt immer öfter die Grundlage, um überhaupt etwas zu schärfen.“

„Der konfession­elle Unterricht hält nicht,

was er verspricht“

Religionsp­ädagoge

Newspapers in German

Newspapers from Germany