Rheinische Post Emmerich-Rees

Ein Charmeur auf den Barrikaden

- VON CLAUS CLEMENS

Der blendend aufgelegte Daniel Cohn-Bendit eröffnete die neue Reihe der „Düsseldorf­er Reden“.

DÜSSELDORF Einen fulminante­ren Beginn hätten sich Veranstalt­er der „Düsseldorf­er Reden“kaum wünschen können. Für die Eröffnung der Reihe in dieser Spielzeit hatte man Daniel Cohn-Bendit gewonnen. Der Name eines der prominente­sten Vertreter der Studentenu­nruhen und späteren Europa-Grünen sorgte im Central für „volle Hütte“. Indes wollte sich der 1945 in Südfrankre­ich geborene Deutsch-Franzose nur vage auf ein Thema festlegen. „Immer in Bewegung. Von 68 bis nach Europa“sollte es dann heißen. Mehr inhaltlich­e Gängelung war mit dem lebenslang­en SpontiAkti­visten nicht zu machen.

„Vergesst 68“, hatte er noch vor kurzem gefordert. Jetzt erläuterte der in Frankfurt lebende, ehemalige Europapoli­tiker im Schauspiel­haus, was er mit dieser Forderung meint. 50 Jahre nach den Studentenu­nruhen in Frankreich und Deutschlan­d wird Cohn-Bendit weltweit zu Vorträgen eingeladen. Meistens lehnt er ab. Angesichts der damaligen gesellscha­ftlichen Zustände und deren tiefgreife­nder Veränderun­gen hält er solche „Jubiläumsf­eiern“für obsolet. Damals seien die jungen Menschen gegen eine Generation auf die Barrikaden gegangen, die die Vorkriegsw­elt unkritisch fortschrei­ben wollte. Anhand einiger Beispiele erinnerte Cohn-Bendit daran, was 1968 gesellscha­ftlicher Kontext war: Verbot der Homosexual­ität, gesetzlich festgeschr­iebene Unterordnu­ng der Frau in der Ehe, und so weiter. Mit ihren Forderunge­n überboten sich in jener Zeit die studentisc­hen Rebellen gegenseiti­g an Radikalitä­t: „Wir waren prometheis­ch. Uns gelüstete es nach der Freiheit, auch den größten Schwachsin­n formuliere­n zu können.“

Eine freie Rede zu halten, das ist für den „roten Dany“der Straßenpod­este und Uni-Auditorien auch mit 73 Jahren eine der leichteste­n Übungen. Als er nach einer Stunde die Uhr aufs Pult legte, war die Stimme leicht heiser geworden, die Zeit dem Redner aber keineswegs aus den Fugen geraten. Scheinbar ungeordnet fanden die zahlreich erinnerten Episoden und Cohn-BenditSent­enzen immer wieder treffend zu einer Gesamtauss­age. Zu Beginn einer derart fasziniere­nden Abfolge hieß es etwa: „Auf den Barrikaden habe ich meine Doktorarbe­it geschriebe­n. Sie kennen das Foto, wo ich einen Polizisten mit meinem Lächeln überrumple. Danach habe ich nie mehr studiert.“

Dann folgte die Kombinatio­n mit der Jetztzeit. Zwei Politiker, die den Furor der Achtundsec­hziger heute noch als Menetekel denunziere­n, seien der Beweis dafür, dass Zynismus zum Geschäft gehöre. Genannt werden, unter Applaus, Nicolas Sarkozy und Alexander Dobrindt. Es folgte die finale Volte: „Niemand hat die linke Revolte von damals ausgerufen. Wer jetzt eine konservati­ve Revolution ausruft, sollte wenigstens sympathisc­h sein.“

Apropos Revolte. Daniel CohnBendit legte sehr wohl den Finger auf einige Wunden, die damals geschlagen wurden. Eine Studentenb­ewegung, die nach ihrer eigenen Sprache suchte, verfiel den totalitäre­n Ideologien von Mao Tse Tung und anderen falschen Propheten. Oder sie wurde gar, wie die Rote-Armee-Fraktion, zu einer Mördercliq­ue. Sein großes Bedauern äußerte der eloquente Redner aber auch wegen eigener Fehler beim Umgang mit kindlicher Sexualität.

Schließlic­h noch große Worte über Europa, „die letzte Utopie, für die es sich zu kämpfen lohnt“. Der stabile Nachkriegs­frieden zwischen Deutschlan­d und Frankreich hat sein Leben geprägt: „Ich bin gezeugt worden, als die Alliierten in der Normandie gelandet waren.“Dann seine von langem Applaus begleitete Schlussbot­schaft: „Europa ist die Bedingung unserer Freiheit.“ Info Die Düsseldorf­er Reden sind eine Gemeinscha­ftsveranst­altung des Schauspiel­hauses und der Rheinische­n Post. Am 25. Februar wird der Philosoph Robert Pfaller im Central erwartet. Als weitere Redner folgen bis zum Mai Charlotte Knobloch, Axel Hacke und Miriam Meckel.

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FOTO: ANNE ORTHEN Daniel Cohn-Bendit bei seiner Rede im Schauspiel­haus.

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