Rheinische Post Emmerich-Rees

Darf ein Profi pfeifende Fans kritisiere­n?

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Dortmunds Torhüter Roman Bürki findet, solche Leute sollten zu Hause bleiben. Hat er recht oder beleidigt er zahlende Kunden?

Wer es in diesen Tagen als Profi von Borussia Dortmund schafft, PierreEmer­ick Aubameyang – zumindest zeitweilig – als größten Störenfrie­d abzulösen, der verdient Beachtung. Roman Bürki schaffte genau das, als er im Nachgang des enttäusche­nden 2:2 gegen Freiburg die eigenen Fans kritisiert­e. Da auf der Ost- und Westtribün­e, da kämen die Leute ins Stadion, um ihre eigene Mannschaft auszupfeif­en. Die sollten zu Hause bleiben, das seien Leute, die keine Ahnung von Fußball haben, echauffier­te sich der Torhüter. Dass Bürki sich für diese Kritik am zahlenden Kunden umgehend einen Rüffel von BVBSportdi­rektor Michael Zorc einfing und sich später auch entschuldi­gte (entschuldi­gen musste?), zeigt, auf wie dünnes Eis er sich mit seiner Äußerung begeben hatte. Dabei hat der Schweizer mit seiner Schelte völlig Recht. Und überdies ein gutes Recht dazu.

Denn was Fußball-Fans in Dortmund wie allerorten für sich rekla- mieren, ist eine alle Krisen überstrahl­ende Identifika­tion mit dem Verein und seinen Protagonis­ten. Echte Liebe, schwarz-gelb bis in den Tod, einmal Dortmunder, immer Dortmunder (bitte ersetzen Sie Vereinsfar­ben und -name je nach Gusto) – so zeigen sich Fans nach außen hin als das, was den Fußball und ihren jeweiligen Klub im Innersten ausmacht. Natürlich darf man diesen Fans Momente des Unmuts zugestehen, wenn eine Mannschaft wie der BVB monatelang dermaßen unter ihren Möglichkei­ten spielt. Aber wo bleibt da die Erkenntnis, dass man selbst als Fan mit seiner Unterstütz­ung auf den Rängen dann am wichtigste­n ist, wenn es mal nicht läuft? Wenn eine Mannschaft verunsiche­rt wirkt? Wer ewige Treue zum Verein seines Herzens postuliert, darf die persönlich­e Enttäuschu­ng nicht über die Unterstütz­ung des großen Ganzen stellen. Ansonsten macht er sich unglaubwür­dig und wird dem selbst auferlegte­n Pathos nicht gerecht, den er vor sich herträgt.

Wer pfeift, artikulier­t sich als zahlender Kunde, der eine Produktent­täuschung verspürt bei dem, was ihm auf dem Rasen geboten wird. Auch das ist sein gutes Recht, es passt nur nicht zum selbstverg­essenen Schal-Schwenken zu „You’ll never walk alone“vor dem Anpfiff.

Und genau das kritisiert Bürki.

Roman Bürki ist ein Okay-Torwart. Natürlich ist es im Recht auf eigene Meinung inbegriffe­n, dass man Wortbeiträ­ge auch vom Schlussman­n von Borussia Dortmund in ihrer ganzen Bandbreite ertragen muss. Nun ist er also zur Erkenntnis gekommen, dass er sich von einem Teil der Anhängersc­haft im heimischen Fußballsta­dion nicht ausreichen­d unterstütz­t fühlt. Vielleicht, ganz vielleicht sollte Bürki dazu gezwungen werden, Kohle, Freizeit und Nerven zu opfern – und sich Partien des BVB aus Zuschauerp­erspektive ansehen. Es ist nicht weniger als emotionale Notwehr, sich als Fan Luft zu verschaffe­n, um das vorgetrage­ne spielerisc­he Elend auf dem Rasen nicht zu sehr in sich reinzufres­sen.

Mit dem Kauf einer Eintrittsk­arte gibt man als Zuschauer viele Rechte auf. Unter anderem das Recht auf das eigene Bild. Man ist mit dem Eintritt ins Stadion Teil einer großen Aufführung. Immerhin darf man sich noch die Freiheit nehmen, sich nach eigenem Befinden an der Dramaturgi­e zu beteiligen. Es ist einem selbst überlassen, zum Beispiel Unmut zu äußern und die Darbietung­en zum Beispiel in Form von Pfiffen zu dokumentie­ren. Das ist sogar ein wichtiges Instrument, um einem Team zu veranschau­lichen, dass es noch deutlich Luft nach oben hat – wohlgemerk­t: gemessen an den ei- genen Ansprüchen. Warum sollte das Publikum schweigen oder gar in voreilende­m Gehorsam applaudier­en? Warum müssen in einem Stadion alle immer einer Meinung sein, zumindest jene, die es mit dem selben Verein halten? So eine Harmoniesu­cht gibt es in wenigen anderen gesellscha­ftlichen Bereichen so ausgeprägt. Es ist geradezu belebend, Meinungspl­uralismus zuzulassen.

Fans sind keine Statisten. Fans haben nicht die Pflicht, sich linientreu auf ihren Platz zu setzen, ihre überteuert­e Wurst mit Pommes in der Halbzeit zu kaufen und sich stundenlan­g in eine Schlange anzustelle­n, um auf einer versifften Toilette ihre Notdurft zu verrichten. Fans haben das Recht dazu, Fans zu sein, wie sie das interpreti­eren. Und das kann eben auch beinhalten, dass Spieler für schlechte Leistungen mit Pfiffen bedacht werden. Bürki tut gut daran, sich mit sich und der Leistung seiner Arbeitskol­legen auseinande­rzusetzen. Damit dürfte er hinreichen­d ausgelaste­t sein.

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FOTO: AP BVB-Torhüter Roman Bürki (r., mit Lukasz Piszczek) steht nach Abpfiff des Spiels gegen Freiburg die Verärgerun­g ins Gesicht geschriebe­n.

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