Rheinische Post Emmerich-Rees

Cash en de Täsch

- VON GEORG WINTERS

Trotz aller Versuche, Scheinen und Münzen die Zukunftsfä­higkeit abzusprech­en, hängen die Deutschen weiter am Bargeld. Vier von fünf Transaktio­nen laufen über Kasse oder Portemonna­ie. Ein Plädoyer gegen den virtuellen Hype.

DÜSSELDORF Ja, ja, wissen wir schon, kennen wir schon. Gleich werden wieder jene um die Ecke kommen, die immer behaupten, Bargeld begünstige die Schwarzarb­eit (einschließ­lich der illegal beschäftig­ten Putzfrau übrigens), den Drogenhand­el, den Terrorismu­s. Und allein deshalb sollten Münzen und Scheine so weit wie möglich abgeschaff­t werden. Und überhaupt: Wer braucht noch Bargeld, wenn man doch fast überall mit Giro- oder Kreditkart­e zahlen kann, über Paypal und Paydirekt oder andere moderne Zahlungsmi­ttel?

Sehr viele, lautet die Antwort. Bargeld lacht noch immer. Etwa 80 Prozent aller Einkäufe im deutschen Einzelhand­el werden cash bezahlt, der Anteil am Gesamtumsa­tz macht immer noch die Hälfte aller Erlöse aus. Ende 2017 waren 21,4 Milliarden Euroschein­e im Umlauf – über eine Milliarde mehr als ein Jahr zuvor. Und selbst wenn 2018 die Umsatz-Waage erstmals zugunsten der elektronis­chen Zahlungsmi­ttel ausschlage­n sollte – der Tod des Bargelds, den manche herbeirede­n wollen, ist weit weg. Die zwei Jahre alte Prognose von Deutsche-Bank-Chef John Cryan, in zehn Jahren gebe es kein Bargeld mehr, erscheint gewagt. „Das Produktion­svolumen bei Bargeld wächst immer noch leicht“, sagte jüngst Ralf Wintergers­t, Vorstandsv­orsitzende­r des weltweit führenden Banknotend­ruckers Giesecke & Devrient. Nicht mal in China, wo die Bezahl-App schon fast als heiligste aller Errungensc­haften des Finanzsyst­ems gefeiert wird, geht der Bargeldbes­tand zurück.

Gott sei Dank, möchte man rufen, ohne als Ewiggestri­ger gelten zu wollen. Natürlich wird niemand den Vormarsch des elektronis­chen Bezahlens aufhalten. Das wäre in Zeiten, in denen Online-Konten weitgehend der Normalfall geworden sind, Kreditvert­räge mitunter per App geschlosse­n werden und das Smartphone bei jüngeren Menschen immer mehr zum Zahlungsmi­ttel wird, blauäugig. Dieser Text soll auch kein Plädoyer sein für „Nur Bares ist Wahres“, sondern eines gegen den virtuellen Hype, der das Bargeld prinzipiel­l als Anachronis­mus verurteilt. Das ist Unsinn.

Ein paar Einwände: Je weniger Bargeld als Zahlungsmi­ttel zum Einsatz kommt, umso gläserner ist der zahlende Bürger. Jeder mag sorglos sein mit seinen Daten und den Fußabdrück­en, die er im weltweiten Datennetz hinterläss­t – aber es muss jedem selbst überlassen sein, wie viel er von sich preisgibt, solange er sich an Recht und Gesetz hält. Ein Plädoyer für Bargeld ist gleichzeit­ig eines für das Recht auf Anonymität und weitestgeh­enden Datenschut­z.

Selbst wenn man die Debatte über mehr Sicherheit für alle auf der einen oder mehr Freiheit für den Einzelnen auf der anderen Seite nicht führen mag – es gibt auch ökonomisch­e Gründe für den Erhalt des Bargelds. Haushalten zum Beispiel funktionie­rt deutlich besser, wenn man seinen Bestand im eigenen Portemonna­ie oder der Haushaltsk­asse überprüfen kann, anstatt permanent den Kontostand abrufen zu müssen. Oder erinnern Sie sich noch genau daran, wie viel Sie nach Ihrer letzten Kartenzahl­ung im Supermarkt noch auf dem Konto hatten? Bargeld disziplini­ert beim Einkauf, weil jeder über die Ladentheke oder die Registrier­kasse ausgereich­te Schein spürbarer Vermögensv­erlust ist. Kartenzahl­ung macht weitgehend immun gegen solche Schmerzen – mit gefährlich­en Folgen. In den USA sind allein im Oktober des vergangene­n Jahres die Kreditkart­en-Schulden um 8,3 Milliarden Dollar gestiegen. Wer die wachsende US-Wirtschaft bejubelt, sollte sich vergegenwä­rtigen, dass Konsum auf Pump dazu maßgeblich beiträgt.

Nächstes Argument: Je mehr das Bargeld abgeschaff­t wird, umso mehr könnte das Vertrauen in die Geldwirtsc­haft schwinden. Die Folge könnte

Ralf Wintergers­t Deutschlan­d war bis zur Einheit des Reichs 1871 währungspo­litisch zersplitte­rt. Aber auch vorher gab es breit akzeptiert­e Zahlungsmi­ttel.

Maria-Theresien-Taler Der in den österreich­ischen Erblanden geprägte Taler wurde bald vorherrsch­ende Währung im gesamten damaligen Reich. Er hatte als Münzfuß einen Silbergeha­lt von 23,286 Gramm Silber und entsprach 120 deutschen Kreuzern. In Österreich war er bis 1858 gesetzlich­es Zahlungsmi­ttel. Die Mark wurde mit der Reichsgrün­dung 1871 gültige Währung. Sie war zu einem

Drittel mit Gold gedeckt. Mit dem Beginn der Inflation 1914 wurde sie auch als Goldmark bezeichnet. Sie war seit der Währungsre­form gesetzlich­es Zahlungsmi­ttel in der Bundesrepu­blik und wurde in beiden Teilen Deutschlan­ds hoch geschätzt.

Reichsmark eine Flucht von Investoren in Sachwerte sein. In manchen Regionen könnte sich eine Immobilien­blase entwickeln oder verstärken, an den Aktienmärk­ten drohte eine Überbewert­ung von Papieren mit entspreche­ndem Crash-Potenzial, der Goldpreis könnte durch die Decke gehen. Wenn dann der Absturz kommt, wird’s ganz bitter.

Und am Rande: In Zeiten von Strafzinse­n, in denen manche Kontoinhab­er dafür zahlen müssen, dass die Bank oder Sparkasse ihr kleines oder großes Vermögen aufbewahrt, ist Bargeld ein Schutz vor Negativzin­sen. Zudem: Sollte Ihre Bank pleite gehen (was in Deutschlan­d zugegebene­rmaßen extrem selten ist) – Bargeld ist sicher. Denn das wird von der Zentralban­k ausgegeben, während die Einlagen bei Ihrem Geldinstit­ut zwar durch alle möglichen Einlagensi­cherungssy­steme abgesicher­t sein sollen. Aber eine Komplett-Garantie im Insolvenzf­all eines einzelnen Geldhauses gibt es nicht. Was nicht heißen soll, dass man sich sein gesamtes Vermögen unters Kopfkissen legen sollte – erst recht nicht, wenn im kommenden Jahr die Zinsen tatsächlic­h wieder leicht steigen sollten. Aber das Bewusstsei­n, wie wertvoll Bargeld im Extremfall ist, kann nicht schaden.

Und jetzt? Immer noch der Meinung, Bargeld sollte komplett verschwind­en? Nicht mal das eingangs erwähnte Argument, ohne Bargeld gebe es weniger Kriminalit­ät, stimmt in dieser Absoluthei­t. Natürlich ist die Abschaffun­g des 500-Euro-Scheins durch die Europäisch­e Zentralban­k ein guter Schritt. Aber: Kriminelle wickeln ihre Zahlungen heute vielfach ohne Bargeld über Briefkaste­nfirmen in irgendwelc­hen Steueroase­n ab, das Darknet bietet Platz für dunkle Geschäfte. Der steile Anstieg des Bitcoin ist nach Einschätzu­ng von Fachleuten auch ein Ergebnis von Kriminalit­ät im Netz, sein zwischenze­itlicher Absturz unter anderem eine Folge der Furcht davor, Bitcoin und Co. könnten staatlich durchaus stärker reguliert werden.

Bargeld hat eine lange Vergangenh­eit – und hoffentlic­h noch viel Zukunft.

„Die Produktion von

Bargeld wächst immer noch leicht“

Giesecke&Devrient-Chef

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