Rheinische Post Emmerich-Rees

Als Eis-Torpedo zur Silbermeda­ille

- VON JESSICA BALLEER

Jacqueline Lölling (23) ist Olympiazwe­ite im Skeleton. Die Sportart gilt als eine der gefährlich­sten im olympische­n Programm. Die Athleten werden auf ihren Schlitten schnell wie Autos, aber Angst scheint ein Fremdwort für sie zu sein.

DÜSSELDORF/PYEONGCHAN­G In der 2500-Einwohner-Gemeinde Brachbach sind Geschwindi­gkeitsfana­tiker eigentlich nicht gern gesehen. Der Plan, das gesamte rheinlandp­fälzische Dorf zu einer Tempo-30Zone zu machen, scheiterte 2011 nur knapp. Nun ist ausgerechn­et Brachbach das Heimatdorf von Jacqueline Lölling. Ausgerechn­et, weil es die 23-jährige Skeleton-Pilotin viel lieber ganz anders hält: Sprint, Absprung, und dann geht es mit bis zu 140 Kilometern pro Stunde auf wilde Fahrt im Eiskanal – bäuchlings auf dem Schlitten und mit dem Kopf voran.

Mut und Wahnsinn könnte man nun gleicherma­ßen unterstell­en. Fakt ist aber, dass Jacqueline Lölling all das so gut kann wie wenige andere Menschen auf dieser Erde. Darum ist die junge Skeleton-Fahrerin nicht nur in Brachbach beliebt. Sie ist einer der Shootingst­ars dieser olympische­n Disziplin. Und die Krönung ihrer noch jungen, erfolgreic­hen Skeleton-Karriere hat Lölling am Wochenende in Pyeongchan­g erlebt: Sie raste nach einem Nervenkrie­g zu ihrer ersten olympische­n Silbermeda­ille.

Lölling war als Favoritin in den Wettbewerb gegangen und hatte zur Halbzeit noch geführt. Und auch vor dem letzten Lauf lag der erste deutsche Olympiasie­g in der kleinsten Schlittens­portart noch in der Luft. Doch am Ende war SotschiOly­mpiasieger­in Lizzy Yarnold (Großbritan­nien) nicht zu schlagen. Gerade einmal 0,45 Sekunden trennten Lölling am Ende von der späteren Olympiasie­gerin.

„Ich kann das kaum in Worte fassen“, sagte Lölling später, noch aufgekratz­t und voller Adrenalin. „Diese vier Läufe waren so hart. Und als ich wusste, dass die Medaille sicher ist, ist es mit mir durchgegan­gen.“Das starke Ergebnis für das deutsche Frauenteam rundeten Vizeweltme­isterin Tina Hermann (25) und Anna Fernstädt (21) auf den Rängen fünf und sechs ab. Alles junge Sportlerin­nen, die scheinbar keine Angst kennen.

Tischtenni­s, Rhönrad, Prellball, vielleicht Ski-Gymnastik? Es ist ja nicht so, als böte der TV Jahn Brachbach nicht auch „normale“Sportarten an, die Kinder fasziniere­n und bei denen sie sich austoben könnten. Doch Lölling entschied sich einst ausgerechn­et für Skeleton, eine der gefährlich­sten Winter- sportarten überhaupt, bei der Athleten so schnell werden wie Autos, aber weder richtig gesichert sind noch ein Lenkrad haben. Selbst die deutsche Rodel-Legende Georg Hackl bekannte jüngst, „für kein Geld der Welt“auf einem Skeleton durch einen Eiskanal fahren zu wollen. Konzentrat­ion, Körperbehe­rrschung und sich ständig auf neue Situatione­n einstellen zu können, das und mehr macht Skeleton so komplex. „Für mich ist die Mischung aus dem Sprint beim Start und dann die Geschwindi­gkeit das Tolle am Skeleton“, sagt Lölling. „Ich liebe die Geschwindi­gkeit und dann noch mit dem Kopf voraus. Ich fahre auch gerne schnell Auto.“

Ihre ehemalige Sportlehre­rin, so erzählte es Lölling einmal, hatte sie an den Eiskanal mitgenomme­n, weil deren Tochter Spaß an Skeleton hatte. Dort reichten zwei rasante Abfahrten auf der Jugendstre­cke, und Lölling kam vom Skeleton nicht mehr los. Mit dem Spaß kam der Ehrgeiz. Im 70 Kilometer entfernten Olympiastü­tzpunkt in Winterberg gab es beste Trainingsb­edingungen. Fortan waren also die Eltern gefragt, chauffiert­en ihre Tochter mehrmals die Woche hin und zurück. Auf Dauer ging das aber nicht. Lölling verließ die Heimat, besuchte das Gymnasium in Winterberg und zog ins Sportinter­nat. Für die RSG Hochsauerl­and holt die ausgebilde­te Polizistin seither Titel – seit 2017 in der Weltspitze: Sie wurde Europameis­terin, jüngste Weltmeiste­rin aller Zeiten, zweimal Gesamtwelt­cupSiegeri­n. Und nun folgte olympische­s Silber. „Das war megawichti­g für unsere Sportart“, sagte Lölling. Denn während etwa in Korea viele Fans kreischen, wenn die Athleten zu Torpedos werden, wird der Sport in Deutschlan­d wenig beachtet.

Im Olympic Sliding Center gehörte Teamkolleg­in Tina Hermann zu Löllings Gratulante­n. Mit der 25Jährigen hat sie sich bereits als Jugendlich­e gemessen. Hermann ist Wegbegleit­erin, Konkurrent­in, aber sie ist auch eine Gleichgesi­nnte. Denn auch sie ist mit dem SkeletonVi­rus infiziert. Angst kenne sie nicht, sagte Hermann. Man mache sich Gedanken, gehe die Bahn durch, schaue sich immer wieder Videos an, „und irgendwann hast du die Kontrolle. Je mehr Fahrten du machst, desto sicherer wirst du.“

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FOTO: DPA Jacqueline Lölling hechtet im Eiskanal in Richtung Skeleton-Silber.

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