Rheinische Post Emmerich-Rees

Düsseldorf: Ovationen für Ray Chen, den Garrett-Ersatz

- VON ARMIN KAUMANNS

DÜSSELDORF Vor der Tonhalle stehen besonders viele Leute, die Konzertkar­ten loswerden wollen. Kein Wunder, der angekündig­te Star des Abends, David Garrett, hat das Geigen einstweile­n eingestell­t. Und wer will schon bis zu 175 Euro für Ray Chen ausgeben, dem zwar ein vorzüglich­er Ruf als Geiger und fast noch mehr als Internet-Aktivist vorausgeht, der aber bei Schwiegerm­üttern und PopAffinen erst mal keine Schnitte hat? Nun, die Kartenverk­äufer wären mal besser dagebliebe­n. Denn der 28-jährige taiwanesis­che Sonnyboy ist nicht nur mindestens so süß wie Garrett. Das jedenfalls konnten samt Autogramm die jungen weiblichen ebenso wie die gesetztere­n Fans in der Pause erleben. Ray Chen spielt dazu auch vorzüglich auf seiner Stradivari, die früher Joseph Joachim gehörte, dass Garrett niemand vermissen muss.

Chens Tschaikows­ky-Konzert ist so mitreißend, dass das Publikum schon nach dem ersten Satz eine gefühlte Minute lang frenetisch applaudier­t. Der smarte Solist verbeugt sich immerzu, zeigt sein Lächeln, stimmt verlegen nach, bevor es wieder ernst wird. Sein Ton ist weich wie Samt, zart wie Seide, die Kantilenen sind endlos, die Abgründe schwarz, stupende Virtuositä­t.

Egal, ob auf der G-Saite oder im ewigen Schnee – alles strahlt hinauf bis ins letzte Eckchen im Gewölbe. Und witzig ist der Junge. Als er vor der Zugabe, der 21. Paganini-Caprice, ein paar zerfetzte Haare vom Bogen zupft, sagt er lächelnd: „Like my fathers head.“Und säuselt die superschwe­ren Doppelgrif­fe und turnt die affenmäßig­en Springboge­npassagen rauf und runter.

Neben Ray Chen ist ja auch noch das London Philharmon­ic Orchestra da, samt Christoph Eschenbach, der nur zum Violinkonz­ert ein Dirigenten­pult braucht. Sie verteidige­n erfolgreic­h den Ruf, eines der großen Orchester der Welt zu sein. Die Streicher klingen edel und homogen, der Ton der Celli ist berückend. Im Verein mit den Bratschen sorgen sie bei Tschaikows­kys „Fünfter“fürs Schwermüti­ge. Das Holz kann, wenn sich nicht gerade das erste Fagott hervortut, wie aus einem Atem schöpfen, viel beschäftig­t ist die vorzüglich­e Solo-Klarinette. Der Solo-Hornist wird durch Eschenbach­s lasziv-langsames Tempo beim „Andante cantabile“aufs Äußerste gefordert – und er gibt lauter Wohlklang zurück. Tolles Blech, tolle Pauken. Wunderbare Agogik, wackelfrei. Allerdings ein bisschen viel Tschaikows­ky.

Zu Beginn gab es die Onegin-Polonaise, als Zugabe Walzerseli­gkeit. Jubel.

Tschaikows­ky ist so mitreißend, dass das Publikum schon nach dem ersten Satz frene

tisch applaudier­t

Newspapers in German

Newspapers from Germany