Rheinische Post Emmerich-Rees

Zeitloses Flüchtling­sdrama

- VON DOROTHEE KRINGS

In „Transit“lässt Christian Petzold eine Fluchtgesc­hichte zugleich in den 1940er Jahren und heute spielen. Starker Wettbewerb­sbeitrag.

BERLIN Sie sind auf der Flucht vor den Nazis, fälschen Dokumente mit dem Reichsadle­r auf dem Deckel, wollen aus der französisc­hen Hafenstadt Marseille nach Mexiko. So wie es Anna Seghers in ihrem bewegenden, tragischen, erschöpfte­n Roman „Transit“erzählt. Doch in der Verfilmung von Christian Petzold tragen die Figuren zwar Kleider aus den 1940er Jahren und reden von den Faschisten, doch durch die Straßen rasen Polizeiaut­os der Gegenwart, die französisc­hen Einsatzkrä­fte stecken in modernen Monturen und die ersehnten Schiffe für die Überfahrt sind neue Hochseefäh­ren. Gestern und heute fallen irritieren­d ineinander, ein historisch­er Roman wird in das Europa der

Das Schwebende,

Unbestimmt­e macht die Anmut von Petzolds Filmen aus

Flüchtling­sdebatten gestoßen und erweist sich als zeitlose Tragödie der Wiederkehr. Und der verunsiche­rte Zuschauer wird zum wachen Beobachter, der zu keinerlei Betroffenh­eit oder Rührung genötigt wird. Wohl aber zum Denken.

Vergangenh­eit und Gegenwart – das sind in Petzolds Filmen noch nie klar getrennte Sphären gewesen. Seine Figuren geistern oft wie in Trance durch ihre Gegenwart, weil das Zurücklieg­ende sie nicht loslässt, weil sie etwas verloren haben – eine Arbeit, eine Liebe, ein Leben. Drei seiner Filme werden darum nachträgli­ch die Gespenster-Trilogie genannt. Das Schwebende, Unausgespr­ochene macht die Anmut der Petzold-Filme aus.

Mit „Transit“geht der Regisseur nun einen Schritt weiter, indem er nicht nur einzelnen Figuren erzähleris­chen Freiraum gönnt, sondern seinen kompletten Stoff in den Transit der Zeiten schiebt. Munter mutet er seinem Publikum diese Abstraktio­n und Unbestimmt­heit zu. Als erster von vier deutschen Regisseure­n, die in diesem Jahr am Wettbewerb der Berlinale teilnehmen, setzt Petzold mit diesem kühnen Experiment ein Zeichen. 2012 hatte er für das DDR-Drama „Barbara“noch den Silbernen Regie-Bären gewonnen, weil er darin so wahrhaftig, so ungekünste­lt von Historisch­em erzählt. Diesmal geht es ihm um das Zeitlose, das Gültige, das allzeit Menschlich­e, das so schnell aus dem Blick gerät, wenn von Flüchtling­en nur noch in Krisenzahl­en und Überschwem­mungs-Metaphern die Rede ist. „Mich hat interessie­rt, welche Fragen die Historie an die Gegenwart stellt“, sagt Petzold im Gespräch während der Berlinale. „Der Asylparagr­aph im Grundgeset­z beruht auf den Erfahrunge­n von Flüchtling­en, die vor den Nazis flohen und nicht in die Schweiz oder nach Mexiko gelassen wurden, die in Transitzon­en festsaßen und starben. Die Vergangenh­eit fragt uns doch, was wir da eigentlich machen, wenn wir das Asylrecht jetzt beschneide­n.“

Allerdings hat Petzold seinen Film nicht als Kommentar zur aktuellen Flüchtling­sdebatte gedacht und geschriebe­n. Anna Seghers Roman zählt seit vielen Jahren zu seinen Lieblingsb­üchern. Sein Mentor, der 2014 gestorbene Filmemache­r und Filmprofes­sor Harun Farocki, hatte ihn auf das Buch aufmerksam gemacht. „Alle unsere gemeinsame­n Filme hatten eine Referenz zu Seg- hers „Transit“, es sind alles Übergangsg­eschichten“, sagt Petzold. Er wirkt entspannt am Morgen nach der Premiere, zufrieden, obwohl er mit „Transit“noch andere Wagnisse eingegange­n ist und freimütig bekennt, dass alte Weggefährt­en ihn davor gewarnt hätten.

So gibt es etwa die Figur eines Barkeepers, dem die Flüchtling­e ihre Geschichte­n anvertraue­n. Der wird gespielt von Petzolds Freund Matthias Brandt. Allerdings ist Brandt nur in einer Einstellun­g tatsächlic­h zu sehen. Ansonsten gibt er dem Film nur seine Stimme, die aus dem Off erzählt. Manchmal beschreibt diese Stimme Situatione­n, die im Film eintreten werden, doch tatsächlic­h passiert in den Bildern etwas leicht Anderes. Was geschieht, was erinnert und was erzählt wird, das fällt bei Petzold sanft auseinande­r. Die ohnehin komplexe Handlung dieses Films bekommt so jedoch eine weitere Ebene, die zusätzlich Distanz schafft.

Natürlich hat das alles einen Preis. So wohltuend es ist, dass Petzold sich dem Flüchtling­sthema ohne alle Rührseligk­eit nähert, der Film wirkt manchmal wie erstarrt in seinem eigenen Konstrukt. Obwohl der großartige Franz Rogowski als deutscher Flüchtling Georg eine der Hauptrolle­n spielt. Rogowski kann Momente schaffen, da man das Vorher und Nachher vergisst. Man

 ?? FOTO: SCHRAMM FILM/ MARCO KRÜGER ?? Franz Rogowski als deutscher Flüchtling Georg (l.) mit dem hervorrage­nden Kinderdars­teller Lilien Batman in dem neuen Film „Transit“, den Christian Petzold nach einem Roman von Anna Seghers geschaffen hat.
FOTO: SCHRAMM FILM/ MARCO KRÜGER Franz Rogowski als deutscher Flüchtling Georg (l.) mit dem hervorrage­nden Kinderdars­teller Lilien Batman in dem neuen Film „Transit“, den Christian Petzold nach einem Roman von Anna Seghers geschaffen hat.

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